Ich werde in den letzten Tagen öfter gefragt, ist es mit dem Corona–Virus und seinen Auswirkungen nicht wie 1666 mit der Pest in Flörsheim? Finden wir einen Trost aus jener Zeit, da ein Gelöbnis der Seuche ein Ende machte? Macht ein Gelöbnis heute einen Sinn, wo die Wissenschaftler und nicht die Theologen das Sagen haben?
Vielleicht gibt uns das Gespräch eine Antwort, das ich im Jahre 2016 mit Pfarrer Sascha Jung führte.
Ein Gespräch mit Pfarrer Jung in Flörsheim
Hans Jakob Gall: Herr Pfarrer Jung, das Gelöbnis zum Verlobten Tag im Jahre 1666 wurde am 28. Juli gegeben, aber im darauf folgenden August sind dann 41 Menschen an der Pest gestorben und noch weitere 104, bis erst im folgenden Januar mit der letzten Pesttoten Pfarrer Münch schreiben konnte: Cessavit pestis, die Pest ist vorbei. Also hat das Gelöbnis nichts bewirkt, oder?
Pfarrer Jung: Das würde ich so nicht sagen wollen. Wir kennen nicht die genauen Umstände von damals. Vielleicht war es ja so, dass es nach dem Gelöbnis im Oberdorf keine Neuinfektionen mehr gab oder nicht mehr so viele. Die Quellen sind in dieser Hinsicht nie so ganz eindeutig – leider. Ebenso muss man das Gesamte in der Dramatik der damaligen Zeit bedenken: im Nachhinein wurde den Flörsheimern erst bewusst, dass das Versprechen die Kraft des Neuanfangs in sich trug und die Wende in der Not herbei führte. Genau hierin liegt dann eine gewisse theologische Rechtfertigung, dass wir das Gelöbnis feiern können, wenn es auch eine gewisse Widersprüchlichkeit in sich trägt …
Pfarrer Münch sehe ich dabei fast in der geistlichen Nähe zu Hiob. Dem Hiob im Alten Testament wurde alles genommen und dennoch hat er seinen Glauben nicht verloren. Gezweifelt hat Hiob schon, und in ähnlicher Weise mag auch Pfarrer Münch gezweifelt haben. Vielleicht müssen wir dies auch lernen: mit diesen Spannungen im Glauben umgehen zu können und nie nachzulassen, mehr aus dem Geschehen zu lernen, um tiefer zu verstehen.
Aber das Gelöbnis …
Gott lässt nicht mit sich handeln. Der Mensch macht ein Gelöbnis – und schon ist die Pest vorbei? Nein, die Pest ist erst dann vorbei, wenn Gott es will und das hat er auch gewollt, nur nicht sofort. Dass die Pest zu Ende ging, ohne dass alle Menschen in Flörsheim gestorben sind, das ist das Ergebnis des Gelöbnisses.
Die gläubigen Menschen zu jener Zeit haben das Gelöbnis jedenfalls genau so verstanden und haben es im Jahr 1667 und weiterhin gehalten. Das ist das einzig Entscheidende: Dass es nicht gleich im nächsten Jahr schon vergessen worden ist, da ja die Pest vorüber war. Nein, sie haben die Krankheit als eine ‚Prüfung‘ verstanden und gewartet und feststellen müssen, dass Gott ihre Bitten erhört und die Pest nicht weiter hat voranschreiten lassen. Also kann man sagen: wenn die Pest vorüber ist werdet ihr verstehen, was Gott getan hat: Viele Menschen werden ihr Leben verloren haben, aber die Menschen werden zugleich ein neues Gefühl von Leben haben und das Unselbstverständliche darin erkennen.
Herr Pfarrer Jung, kann es sein, dass Pfarrer Münch nach allem Elend und Tod, was er täglich sah, das Schöne suchte und dies in einer Frau?
Eine Frau galt in der damaligen Kultur im Besonderen als die Trägerin des künftigen Lebens. Damit stellt sie durch ihre Mutterschaft und ihre Kinder einen klaren Gegensatz dar zu einem Priester, der feststellt, dass er das biologische Leben so nicht weitergeben kann. Da könnte durchaus eine existentielle Frage in Münch geweckt worden sein: „Ist das richtig, was ich da mache, als Priester zölibatär zu leben, während ringsum der Tod wütet und der Mensch nach Leben schreit, nach seinem eigenen und nach dem Leben seiner Nachkommen?“
Herr Pfarrer Jung, danke für das Gespräch.
Das Gespräch finden Sie in meinem Buch „Mensch Münch“, das Sie hier auf meiner Webseite lesen können, ein Buch mit einer Novelle und ab Seite 107 mit einem Anhang über die Pest im Jahre 1666 nicht nur in Flörsheim.