Ist die Kogge auf unserem Stadtwappen ein „Oberländer“?

Gedanken und Überlegungen zum Flörsheimer Schiff

Ist die Kogge auf unserem Stadtwappen ein „Oberländer“? Gedanken und Überlegungen zum Flörsheimer Schiff

Am 17. Juli des Jahres 2004 besuchten meine Frau und ich die Lan­desausstellung „Edel und Frei – Franken im Mittelalter“ in der Kai­serpfalz in Forchheim. Unter den vielen Büchern in zahlreichen Vitri­nen war auch eine alte Handschrift zu sehen, die mein besonderes Interesse auf sich zog. War doch in der ans Vitrinenglas geklebten Beschreibung zu diesem Buch zu lesen, dass es sich hier um ein Buch handelt, das im Jahr 1500 entstanden, in deutscher Sprache handgeschrieben und mit zahlreichen kolorierten Handzeichnungen ausgestattet ist.

Es war das Stadtbuch oder Salbuch aus dem Stadtarchiv Volkach, das Amtshandbuch des damaligen Stadtschreibers Niklas Brobst, der den Text geschrieben hat. Entstanden vermutlich im Jahr 1500, trägt doch etwa ein Drittel der Bilder darin die Jahreszahl 1504. Ein Buch vom ländlichen Leben zu Beginn der frühen Neuzeit in Sprache und Bildern, nicht nacherzählt, sondern aus dem Alltag beschrieben: Da­nach hatte ich schon lange gesucht!

Einige Tage später, wieder zu Hause, machte ich mich im Internet auf die Suche nach diesem Buch, besser gesagt nach einem Nach­druck oder zumindest nach einer Arbeit darüber – und ich wurde fün­dig. Eine Woche später hatte ich es in meinen Händen: „Fränkisches Alltagsleben um 1500 – Eid, Markt und Zoll im Volkacher Salbuch“ heißt das Buch, ist von Karl-S. Kramer und ist im Echter Verlag Würzburg 1985 erschienen; es hat 160 Seiten mit Texten und Be­schreibungen des Originals und zeigt 94 Zeichnungen daraus, dar­unter acht in Farbe.

Schon bald fand ich auf Seite 85 unter der Bildnummer 65 dieses Bild:

und auf den Seiten 72 und 106 folgende Beschreibungen dazu: „Wir sehen zwei Männer, Lemple und Boffle, auf einem Schiffe treibend, das Ähnlichkeit mit einer Kogge hat. Von der geladenen Ware ist nichts zu sehen, doch besagt der Text, daß es Wein ist, und man brauche nicht mehr Zoll zu zahlen, als ein ander Wagenmann der auf der Straßen fährt.“

Und weiter: „Stark erschüttert wird sie (die Zeugniskraft der Zeichnungen für Volkach 1504, HJG) durch die Schiffsdarstellung Abb. 65, die eher einer Hansekogge gleicht. Sachkenner glauben einen Oberländer zu erkennen, wie er um diese Zeit zwischen Mainz und Köln verkehrte. Er fällt durch trapezförmigen Grundriß und hüttenar­tigen Heckaufbau auf. Es ist nicht auszuschließen, daß er auch auf dem Main auftauchte, obwohl für diesen Fluß der Schelch üblich war. Wahrscheinlich hatte der Zeichner ein Bild des Oberländers gesehen.“

Dies lesend schoss mir der Gedanke in den Kopf: Zeigt das Flörsheimer Stadtwappen einen Oberländer? Kann es sein, dass es sich bei der so oft belächelten Hansekogge auf unserem Stadtwap­pen um eine Darstellung handelt, von der auch gesagt werden kann, „wahrscheinlich hatte der Zeichner ein Bild des Oberlän­ders gesehen?“

Der Gedanke ließ mich nicht mehr los, und so machte ich mich im Internet auf die Suche: Was ist ein Oberländer? Wie sah er aus? Woher hatte er seinen Namen? Doch bevor ich darüber schreibe, möchte ich drei Bilder von Oberländern zeigen.

Das erste Bild ist ein Ausschnitt aus einem Stich aus dem Jahr 1531, das zweite ist der Stich: „Flörsheim am Main von Mittag her“, das dritte ein Auszug daraus.

Aus dem Stich kopiert, in die Horizontale gerückt und vergrößert, sieht man deutlich die Veränderung im Aussehen des Schiffes, wobei aber der markante Heckaufbau erhalten blieb – und warum mögen noch einmal hundert Jahre später die Oberländer sich in ihrer Gestalt nicht dem Aussehen einer Kogge noch mehr genä­hert haben? Und warum kann ein Künstler im 19. Jahrhundert, wenn nicht den Oberländer selbst, so diese Stiche oder ähnliche gesehen und danach unser Wappenschiff gezeichnet haben?

Aber nun der Reihe nach:

Zuerst einige Informationen vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven: „Oberländer ist der Name eines mittelalterlichen Schiffstyps vom Rhein. Diese Schiffe hießen so, weil sie von den Oberländern – im Gegensatz zu den Niederländern am Niederrhein – gebaut und benutzt wurden.“

Im Schifffahrtsmuseum ist ein kleiner Oberländer ausgestellt, er wur­de 1973 in einer Kiesgrube bei Krefeld – die Grube war früher ein Altarm des Rheins – gefunden: „Unseren kleinen Oberländer baute man vor 1000 Jahren wie folgt: Man höhlte eine dicke Eiche zu ei­nem Einbaum mit offenem Heck aus. Dann sägte man den Einbaum der Länge nach in zwei gleiche Hälften und fügte zwei Bodenplanken und eine nach vorn geneigte Bugplatte zwischen die Hälften. … Wir wissen nicht wie der Oberländer fortbewegt wurde. Rudern im Ste­hen scheint bei der Höhe der Reling am ehesten möglich zu sein.

Dabei können die Ruderer entweder mit dem Rucken zur Fahrtrich­tung stehen oder sie können mit dem Blick nach vorn die Riemen stoßen – wie Gondoliere. … 40 Fässer Salzhering oder 1200 große Ziegelsteine oder 10 Kühe konnte unser Oberländer tragen – falls man die alle an Bord bekom­men hätte. Das Schiff hatte eine Tragfähigkeit von gut 4 Tonnen. Seine Verdrängung – sein Eigengewicht – betrug 1,5 Tonnen bei ei­nem Tiefgang von nur etwa 25 cm. Voll beladen hatte der Oberländer 70 cm Tiefgang und einen Freibord von 30 cm.“

(Über die Maße des kleinen Oberländers werden in der vorliegenden Infor­mation keine Angaben gemacht; nach dem Bild unten dürfte er je­doch etwa 8 m lang, 1,6 bis 1,8 m breit und 1,2 m hoch sein.)

Weiterhin ist zu lesen:„Ein kleiner Oberländer ziert den Grabstein des Schiffers Blussus. Er lebte in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. und wurde bei Mainz beerdigt. Sein Schiff hat das für alle Oberländer charakteristische hochgezogene Heck und eine schräge Bugplatte – man sieht ihre bogenförmige Oberkante vor der vorderen Reling. … Das Original (des Grabsteins, Detail daraus siehe unten) gehört dem Rheinischen Landesmuseum in Mainz.“

Dann heißt es noch: „Kirche St. Kastor in Koblenz: Auf dem Schluss-Stein eines Gewölbes steuert Maria mit Kind auf dem Arm einen Oberländer. Ein Engel führt ein Ruder am Vorschiff, und der Heilige Geist – symbolisiert durch eine Taube – hat sich auf dem Heck nie­dergelassen. Die Darstellung ist eine Allegorie auf die Kirche als Schiff. St. Kastor wurde 1499 vollendet.“

Der Gewölbe-Schluss-Stein aus St. Kastor:

Zum Abschluss der Informationen vom Deutschen Schifffahrtsmuse­um über den Oberländer möchte ich noch einen Auszug aus einem Stich von 1531 zeigen.

Hierzu kann man lesen:„Auf dieser Ansicht von Köln … sind zahlrei­che Oberländer zu sehen. Es sind große Schiffe, die aus mehreren Planken gebaut sind und einen Mast haben. An langen Riemen ar­beiten Ruderer. Nur bei genauem Hinsehen erkennt man die Ver­wandtschaft mit dem viel kleineren Schiffsfund von Krefeld: Die Rümpfe werden nach vorn schmaler und niedriger und enden in ei­ner schrägen Bugplatte. Der Stich stammt von 1531. Anton Woensam zeigt auf dem Rhein zwei verschiedene Schiffstypen: Oberlän­der und deutlich anders gebaute Schiffe vom niederländischen Typ. Diese haben einen fülligen Bug, der in einem Stevenbalken zusam­menläuft, und einen vorn und achtern etwa gleich breiten und gleich hohen Rumpf.“

Auch auf diesem Bild von Mainz (das Datum ist mir nicht bekannt) ist ein Oberländer auf dem Rhein festgehalten.

Im Badischen Landesmuseum Karlsruhe ist das Modell eines Ober­länders ausgestellt.

Zu diesem Bild der Kommentar: „Das bedeutendste Frachtschiff des Ober- und Mittelrheins war der Oberländer. Bei einer Länge bis 25 m betrug seine Breite 6,5 m am Heck und 3,5 m am Bug. Er besaß einen Laderaum für max. 100 – 120 Tonnen Ladung. Die charakteri­stische Hütte am Heck diente dem Schiffer als Wohnung, die Mann­schaft dürfte in der Regel in den Treidelhöfen entlang des Rheins ei­ne nächtliche Unterkunft gefunden haben. Bis Ende des 16. Jahr­hunderts hatten die Oberländer keine Segel. Am Mast wurde die Treidelleine befestigt, mit deren Hilfe das Schiff vom Ufer aus flussaufwärts gezogen wurde. Ein langes Senkruder sorgte für die Steue­rung, die vom ,Lappen‘ unterstützt wurde, einem langen Riemen, mit dem der Bug in Richtung gehalten wurde. Notfalls konnten die Ru­derknechte die Fahrt unterstützen.“

Bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ist unter „Binnenschifffahrt“ zu lesen:

„Schiffsantriebe bis 1820 Treidelschiff­fahrt: Auf den Flüssen werden die Schiffe flussaufwärts getreidelt: Menschen, später Pferde ziehen die Schiffe an langen Leinen, die vom Treidelmast des Schiffes bis zum Ufer reichen. Sieben bis acht Menschen entsprechen dabei einem Pferd.

Das Leben der Treidelpferde und der ‚Leinenreiter‘ ist hart und ge­fährlich. Die Pferde müssen schräg laufen, vom Wasser abgewandt, durch die einseitige Belastung gehen sie entsprechend schief. Der Pferdeknecht reitet im Damensitz, um bei Gefahr schnell abspringen zu können. Er führt ein Beil mit sich, das er bei Unfällen in Untiefen und Strudeln zum Durchhauen der Seile benötigt, um die Pferde zu retten.

Mit dem Aufschwung der Städte im Mittelalter gewinnen die Flüsse als Handelsstraßen immer größere Bedeutung. Die Schifffahrt ent­wickelt sich zu einem wichtigen Wirtschaftszweig, von dem Schiffs­bauer, Schiffe, Treidler und Händler leben. Schiffe, die mit Ruder, Segeln und Treidelmast ausgestattet sind, befahren die Flüsse. Form, Bauweise und Antriebsart hängen von regionalen Besonder­heiten wie Wassertiefe, Flussbettbeschaffenheit und Flusstal ab.

Kölsche Aak                       

Der Grundtyp des Frachtschiffes auf dem Niederrhein ist die ‚Kölsche Aak‘, die auf dem breiten, in der Ebene strömenden Niederrhein ge­segelt werden kann und entsprechend aufwendige Segelvorrichtun­gen aufweist. Auf der oberen und mittleren Rheinstrecke verkehren die ‚Oberländer‘, sie sind wegen der engen und felsigen Strecke des Mittelrheins mit flachem Boden und beweglichem Senkruder ausge­stattet. Rheinabwärts wird der Oberländer gerudert oder die Schiffe fahren mit ‚Kaltem Druck‘, d. h. sie gleiten ohne eigene Antriebe mit der Strömung zu Tal. Erst in späterer Zeit können zusätzlich Segel gesetzt werden.“

Zu der oben erwähnten Treidelschifffahrt durch Menschen hier ein Bild „Wolgatreidler“ des russischen Künstlers llja Repin (1844 -1930). Man glaubt förmlich die Anstrengung der Menschen zu spü­ren.

Zum Treideln eines Oberländers am Rhein noch ein paar zusätzliche Bemerkungen:

„Im Raum Köln-Koblenz verlief der durchgehende, ca. sieben Meter breite Leinpfad oder Treidelpfad auf der linken Rheinseite zwischen Deich (Damm) und Rheinufer. Er durfte nicht von Fuhrwerken oder zum Viehtreiben benutzt werden. Um die Pferde zu schonen wurde der Leinpfad nie gepflastert. Von dem zum Befestigen gebrauchten Kies durften die größten Steine nur einen Durchmesser von einem halben Zoll (ein Zoll ist der zehnte Teil eines Fußes, ein Fuß etwa dreiunddreißig Zentimeter) haben. Als Gehweg war er daher zu jeder Jahreszeit in einem schlechten Zustand.

Je nach Größe und Gewicht benötigten die Schiffe bis zu zwanzig mittelgroße Treidelpferde, die in einem besonderen Geschirr an der Schiffsleine angespannt waren. Kleinere Schiffe oder Boote wurden von nur einem Pferd gezogen. Für eine Last von 15 Tonnen wurden ca. sieben Treidelknechte oder ein Pferd benötigt. Vier Pferde konn­ten einen beladenen ‚Oberländer‘ stromaufwärts ziehen.

Die Treidelseile, die sich vor dem Schiff zu einem dicken Seil verei­nigten, gingen durch eine Rolle am Bug hinauf zum Mast. Am Masttopp lief es wieder durch eine Rolle und von dort zu einem Klampen oder Poller mittschiffs an Steuerbord. Der Mast war dabei als nachgebende Feder gedacht, wenn das Seil sich spannte oder nachgab. Der Zug des Seiles an Steuerbord unterstützte das Ruder, welches das Schiff entgegengesetzt von den nach dem Land zie­henden Pferden vom Ufer abhielt.

Der Rudermann musste dauernd gegensteuern, damit das Schiff durch den schrägen Zug nicht ans Ufer gezogen wurde.“

Doch zum Schluss die Frage am Ende all dieser Informationen: Ist es demnach möglich, dass unser Stadtwappen ein Schiff ziert, das, ei­ner Hansekogge nicht unähnlich, ein Rheinschiff zeigt, eben einen Oberländer, der sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem großen Schiff entwickelt haben mag, das nicht nur den Rhein, sondern auch den Main befuhr? Denn das Stadtwappen von 1951 lehnt sich ja dem Wappenbild an, das Bürgermeister Lauck 1908 herstellen ließ und dessen Vorlage wiederum ein Stempel aus nassauischer Zeit gewe­sen ist.

Wurde vom Künstler damit nicht in die Zeit hineingeschaut, in der Oberländer auch den Main befuhren? In die Zeit, aus der das Bild stammt, das ich zu Anfang gezeigt habe, in das 18. Jahrhun­dert?

Zu meinen Fragen noch einmal zwei Ausschnitte aus dem Kupferstich „Flörsheim am Main von Mittag her“, handkoloriert vom Flörsheimer Kunstmaler Johann Weber. Sie zeigen am Flörsheimer Ufer – einen Oberländer! Einen Oberländer mit seinem hochgezogenen, breiten Heck, seinem schmäleren Bug, dem Treidelmast und einem Mann am Senkruder.

Und wenn schon nicht am Original, so mag ein früher Künstler sich an diesem Bild als Vorlage zu seinem Schiff im Flörsheimer Wappen orientiert haben: an der Kogge, die ein Oberländer war!

Hier noch einige Flörsheimer Wappen in der Zeit

Siegel der Gemeinde                     1953 von einem Designer

Flörsheim am Main                         entworfen (nach Vorlage  

im Jahre 1903                                  Gütermanns Nähseide

[sagte Josef Anna])