Bei meinen Nachforschungen nach den frühen Flörsheimer Fischern fielen mir eine Reihe von Dokumenten und Büchern in die Hand, die mir gänzlich neue Sachverhalte aus alter Zeit eröffneten und es wert sind, als Beiträge mit dem Namen „Flersheimer Fundsachen“ hier gezeigt zu werden. Es sind:
Landstraß und Treidelschifffahrt
Salzheringe waren eine billige Kost
Die alt Bach
Auch gehören dazu
Die Flersheimer Fahr
Die Auseinandersetzung um einen Graben
Diese jedoch haben einen größeren Umfang und daher widme ich ihnen eigene Beiträge.
Landstraß und Treidelschifffahrt.
Der bekannte Stich „Flörsheim am Mayn von Mittag her“, hier koloriert, zeigt die „Landstraß“ zwischen Mainz und Frankfurt; man kann sie auf diesem Bild gut erkennen, denn da gibt es die Treidler auf dem Treidelpfad und auf dem Weg davor fährt eine Kutsche.
Ich hatte das Bild oft gesehen und dachte, na ja, da hat der Künstler halt eine Kutsche hineingemalt. Dass die Kutsche auf der Landstraß von Frankfurt nach Mainz unterwegs ist, erfuhr ich erst aus einem Dokument von 1491 mit einem Vertrag zwischen Berthold von Henneberg und dem Landgrafen in Darmstadt, dort heißt es:
Alß ein Zeitlang wast Irthumb deß bawes
undt Vestung halber an dem Schloß zu
Rüselsheym undt des fares daselbst am
Mayne gewest, itzt auch mit anderen zu unß
gestelt, ist umb denselben itzt gemelten
Irthum unser beyder Graven von Nassow
undt Isenburg entscheidt, also daß der strome
des Maynes der leynpfatt undt die landtstrais
zwischen Maintz und Franckfurt, auch leuthe
undt gut daruff durch unseren gnädigen herren
den Lantgraven seiner gnaden Erben undt
Nachkommen oder die Iren nit sollen beschedigt
aufgehalten oder behindert werden, diß oder widder
Im daß gemelt schloß Im keinen wege auch
kein unwerung alß zolle wegegelt oder ander
beschwerung des orts nit gelegt noch ahngesetzt
Nach dem undt diewyl ein solches wie vorge-
melt gehalten soll werden, so mögen hinfurtt-
er unser gnädiger Herr von Heßen, seiner
Gnaden Erben undt Nachkommen, solch schloß
Rüselsheym, nach Ihrem willen Notthurft, undt
gefallen bawen befesten undt in sonsten behalten
sonder verhinderung undt intrag unsers
gnädigsten Herren von Maintz seiner gnaden
Nachkommen auch deß Capittels oder Stuhls
daselbst, undt allermeniglichs von derentwegen
doch also daß solcher bawe dem strome deß
Maynes den leynpfatt undt die landtstraß
nit behinder oder beschwere, auch mogen unßer
gnädiger Herr von Hessen, undt seiner gnaden
Erben wie vorstehet zu Rüsselsheim ein Nachen
halten zu ihrer gnaden Nottdurft undt geprauch
doch daß dieselbe nit ferner werde gepraucht
und hinderlich soll kein naher zu verkaufen
oder kaufmanschatz übergeführt werden.
Undt wann bißher auch ein Molen schiff darzu
ein schiff holtz undt kolen darhin gen Maintz
zu führen daselbst seint gewest, die mögen der-
maßen itzt undt hinfurtter mit sambt der
nehen da gehalten undt gepraucht werden
wie obgemeldt.
Auf einer Karte aus dem Buch „ Groß-Gerau und Gerauer Land in alten Landkarten“ ist auf Seite 22 der Verlauf des Untermains zu sehen. Auf der linken Mainseite erkennt man den Leinpfad und die Landstraß zwischen Mainz und Frankfurt. Die Karte ist von Georges Louis le Rouge aus dem Jahre 1746.
Schon oft fragte ich mich, wie kamen die nach Mainz von Köln her den Rhein hoch getreidelten Schiffe in den Main und dann zum Weitertreideln auf dem Leinpfad auf der linken Seite den Mainfluss hinauf? Eine Karte aus dem Germanischen Museum Nürnberg gibt Antwort:
Wenn ein Lastschiff von Köln den Rhein heraufkommt, das den Main hoch nach Würzburg gebracht werden soll, führen es die Leinreiter auf dem linksrheinischen Leinpfad über Mainz hinaus und von dort steuern der Schiffer und seine Ruderknechte den großen Kahn mit Hilfe des strömenden Wassers an Sandbänken vorbei auf die andere, die rechte Seite des Rheins und in die rechtseitige Mündung des Mains. Sie legen es ein gutes Stück unterhalb von Costem an und dort wird es von anderen Leinreitern übernommen, denn die Leinreiter am Mainfluss dürfen nicht dieselben sein wie die am Rheinfluss, das ist streng geregelt.
Dann führen die Leinreiter das Schiff bis Costem und von dort wird es mit langen Leinen auf die andere Seite des Mains gezogen, erst jetzt erst kann es an Rießelsem, Flersheim und Frankfurt vorbei nach Würzburg oder Schweinfurt getreidelt werden.
Zu dem im oben zitierten Vertrag mit „zu Rüsselsheim ein Nachen halten zu ihrer gnaden Nottdurft undt geprauch“ berichte ich mehr in den Beiträgen über „Die Flersheimer Fahr“ und „Die Auseinandersetzung um einen Graben“. Denn die Nähefahr in Flersheim musste benutzt werden, auch lange Zeit für Personen und Vieh, die von Rießelsheim her auf den Hochheimer Markt wollten.
Salzheringe waren eine billige Kost
Im Buch „Einige Bemerkungen zum Land-Stadtproblem im Spätmittelalter“ von Wilhelm Abel, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht iin Göttingen, August 1976, fand ich Hinweise (Seite 34 und 35) auf den Hering im Spätmittelalter, von dem ich in meinem Buch „Das Lächeln der Lisbeth Nauheimer“, handelnd ab 1484, nur wenige Sätze schreiben konnte:
Lisbet: „Salzheringe? Woher habt ihr die denn?“
Peter: „Von unserem Händler in Kastel, der uns unsere Fische abnimmt, der verkauft jetzt auch Salzheringe.“
Diese Passage sollte einen Hinweis darauf geben, dass im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit von Flörsheimer Einwohnern nicht nur Mainfische, sondern auch Salzheringe gekauft und sicherlich auch mit Genuss verzehrt wurden. Über die Preise der Salzheringe vor allem im Vergleich mit anderen Fischarten, frisch oder gesalzen, konnte ich damals nichts sagen, ich wusste davon nichts.
Bis ich das genannte Buch las. Da gibt es auf Seite 35 eine Fischpreistaxe der Stadt Eder in Böhmen aus dem Jahre 1465, die zeigt, dass selbst tief im Binnenland die Meeresfische, gedörrt oder gesalzen, billiger waren als die frischen Süßwasserfische. Vor allem der Salzhering war billig. „In den wendischen Städten (hjg: Lübeck, Stralsund, Wismar, Kiel, Rostock) soll am Ende des 14. Jahrhunderts die Einfuhr von Salzheringen jährlich etwa 150 000 t betragen haben, wovon ungefähr die Hälfte auf Lübeck entfiel.“
„Die Preise der Fische waren von Ort zu Ort verschieden und von Art zu Art. Um einen Eindruck von der Vielfalt der Fischarten und -formen zu vermitteln, die den Bürgern des Spätmittelalters zur Verfügung standen, sei eine Fischpreistaxe gebracht, die der Rat der Stadt Eger in Böhmen im Jahre 1465 erließ (Tabelle 1). Sie enthält einige Dutzend verschiedener Fischarten, unterschieden auch nach Qualitäten (groß, klein) und Zubereitung (frisch, gesalzen). Die Preise, nach ihrer Höhe geordnet, zeigen, dass in der Gruppe der frischen Fische der Lachs voran stand. Es folgten Hecht, Forelle, Barsch usw. bis hin zu den kleinen Karpfen, den Weißfischen und den Krebsen, von denen ein Schock (60 Stück) der großen Sorte soviel wie ein Pfund Hecht oder Forelle, ein Schock der kleinen Sorte nicht mehr als ein Pfund der billigsten Frischfische kostete. Die zweite Gruppe enthält die gesalzenen und Tonnenfische. Auch hier begegnen uns noch Süßwasserfische, doch folgen alsdann die Meeresfische: Der Stockfisch, der in der Liste vom Halpfisch, einer besonderen Form des gedörrten Fisches, unterschieden wurde, und der Hering. Wie die Liste zeigt, waren selbst tief im Binnenland die Meeresfische, gedörrt oder gesalzen, noch billiger als die frischen und die konservierten Süßwasserfische.
Das wird bestätigt durch eine andere Taxordnung, die über die Fischpreise hinaus noch Relationen der Fischpreise zu Fleischpreisen bringt. Es handelt sich um eine Taxe für Nahrungsmittel, die der Rat der Stadt Konstanz anlässlich des Konstanzer Konzils in den Jahren 1414 bis 1418 erließ (Tabelle 2, * 1 Pfd. Hering kostete soviel wie x Pfund andere Nahrungsmittel)
Die erste Spalte der Tabelle 2 bringt die Preise der Waren in Pfennig je Pfund, die zweite Spalte setzt diese Preise zum Heringspreis in Beziehung. Sie besagt, dass ein Pfund Hering soviel kostete wie die angegebene Pfundzahl anderer Waren, also z.B. (unterste Spalte) 1 Pfund Hering soviel wie 1,2 Pfund Felchen. Aber das ist der einzige Fisch, der noch billiger war als der Hering. Für Brassen, Schleie, Karpfen und Hechte musste man mehr zahlen als für Heringe. Das ist in der Tabelle so ausgedrückt, dass man für das Geld, das man für 1 Pfund Hering ausgeben musste, nur 0,7 Pfund Brassen bekam. Aber auffälliger ist wohl noch die Relation der Heringspreise zu den Fleischpreisen. So kostete 1 Pfund Hering so viel wie 4,7 Pfund Rindfleisch, 4 Pfund Lammfleisch, 3,5 Pfund Schweinefleisch und noch das Doppelte bis 3,5-fache des Fleisches von Wildschwein, Reh und Hirsch.
In Konstanz mögen besondere Umstände auf die Preise und die Preisrelationen eingewirkt haben. Die Jahre, aus denen die Taxe stammt, umschlossen in ganz Mitteleuropa reiche Ernten und niedrige Getreidepreise. Den Getreidepreisen schlossen sich die Preise anderer Nahrungsmittel, wenn auch zögernd und mit Abständen, an. Das beobachtete auch Ulrich von Richental, der Chronist des Konstanzer Konzils. Er bemerkte, dass an allen Waren Überfluss herrschte. Brot hätte es gegeben, soviel man wollte, auch Fleisch und Wildbret fand man genug, welche Sorte man auch wünschte, dazu noch allerlei Fisch, frisch, gesalzen und getrocknet. Die relativ hohen Fischpreise erklären sich vielleicht auch dadurch, dass der Rat der Stadt Konstanz, der vorsorglich Preistaxen erlassen hatte, die vielen geistlichen Herren bedacht hatte, die man in Konstanz erwartete. Um ihren Wünschen entgegenzukommen, mochte er es für richtig gehalten haben, die Fischer und Fischhändler durch ein hohes Preislimit zu hohen Angeboten zu bewegen. Aber das sind Vermutungen nur, und sie treffen auch nicht die Grundfigur der Fisch-Fleischpreisrelationen. Fische waren im Verhältnis zum Fleisch auch in anderen Jahren und an anderen Orten teuer.
Das mag mit den relativen Kosten der Erzeugung und der Bereitstellung von Fleisch und Fischen zusammenhängen. Weiden gab es im Überfluss, und Rinder, Schafe, Schweine bedurften nur geringer Wartung. Auch an Fischen war zwar kein Mangel. Wo es fließende oder stehende Gewässer gab, fand man auch Fische, doch die natürlichen Fischgewässer waren teils schon gebannt oder verpfändet, verpachtet, verkauft und die künstlichen Teiche mit erheblichen Kosten belastet. Zudem erforderte der Fischfang Geräte und viel Zeit und der Vertrieb viele Händler, denn die Wege, die die Fische vom Fangplatz bis zum Konsumort zurücklegten, erstreckten sich nicht selten über große Entfernungen.“
Der Hering wurde in der Ostsee vor Schonen gefangen und mit Salz aus Lüneburg haltbar gemacht; in Tonnen verpackt konnte er über weite Strecken mit Schiffen und Fuhrwerken zu den Verbrauchern gebracht werden, ohne dass er verdarb.
Und wurde nicht erzählt, dass die Nonnen um Katharina von Bora, der späteren Frau Lutherin, im Jahre 1523 in oder hinter Heringsfässern versteckt dem Zisterzienserinnenkloster Marienthron entfliehen konnten? Und nicht nur deshalb mag auch der Reformator eine Portion Salzheringe nicht verschmäht haben.
Ich nehme an, so ähnlich wird es auch im frühen Flörsheim gewesen sein. Der Main hatte Fische in Fülle, aber sie zu fangen bedurfte es einer langjährigen Ausbildung der Fischer und eines großen Aufwandes mit vielerlei Gerätschaften und deshalb waren sie teurer als der massenhaft in Verkehr gebrachte Salzhering.
Und so bleibt mir abschließend festzustellen, dass der Verzehr von Salzheringen gegenüber Frischfisch in Flörsheim an der Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit und darüber hinaus weder ein Gericht für Reiche noch ein besonderer Luxus gewesen ist: Der Salzhering war billig und er hat gut geschmeckt!
Die alt Bach
Die alt Bach, auch Flörsheimer Bach und heute Wickerbach genannt, musste den nachfolgend gezeigten Dokumenten zufolge für das Fischen vorbereitet werden. Es sollte einerseits eine Nähe, also ein großer Nachen oder Schelch, herbeigeschafft und andererseits die Bach auch für Setzlinge ausgehauen und gesäubert werden, das hat der Domdechant in Hochheim im November des Jahres 1680 dem Flersheimber und dem Hochheimer Oberschultheißen aufgetragen.
Im März des Jahres 1738 erging der Befehl des Domdechanten an die Flörsheimer und Hochheimer, sich des Fischens und Krebsens im Bach zu enthalten, nur dem bestellten „Obsichter“, dem Aufseher war es erlaubt. Denn die Fischrechte im alten Bach wie auch an anderen Bächen und nicht schiffbaren Flüssen besaßen die Grundstückseigentümer und das war in unserem Falle die Dechanei in Hochheim; der Dechant ließ zwar die Flörsheimer den Bach aushauen und aussäubern, aber darin fischen und krebsen, also Fische und Krebse fangen durfte nur sein bestellter Obsichter.
Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden Abt.: 105, Nr.: 363
Hess. Staatsarchiv 105 363 001
Acten
das Fischen in der Flörsheimer Bach betr.
1737
Hess. Staatsarchiv 105 363 002
Dem Schultheißen zu
Flerßheimb fürderlichst zuzustellen
Hess. Staatsarchiv 105 363 003
Demnach man alhier sich gäntzlich reholvirt, morgen ohn-
fehlbar die Bach alda zu Flerßh. zu fischen; deß
hat Schultheiß auf gnädigen Befelch Ihrer Hochwürdg.
Gnad. des Herrn Dhombdechandten die ohnverzügliche An-
stalt zu machen, daß ein Nähe beygeschaffet, auch
sonsten Behörige anstellung darzu gemacht werde, auf daß man
Morgen nicht behindert, sondern möglichst befürdert werden
könne; Dat. Maintz den11ten novembris 1680
auf gnädigem Befelch
Johan Georg Schmitz dhombdechaney
Hess. Staatsarchiv 105 363 004
Die Bach bey Flörßh.
betreffendt
die alt Bach genannt
Hess. Staatsarchiv 105 363 005
Es wirdt dem Oberschultheißen zu Flörß-
heimb hiemit befohlen, daß Er die Verfügung
thun solle, damit durch die Underthanen alda
die so genannte alte Bach, welche zimblich ver-
wachsen, und dahero kein fisch… daraus
zu haben, der gebuhr ausgehauen und außge-
säubert, auch der gestalt ahngerichtet
werden möge, damit mann sie nicht allein mit
iung Setzling nicht allein besetzen, sondern
solche darin auch behalten werden können. Maintz
den 12. novembris 1680
Hess. Staatsarchiv 105 363 006
Befelch so in Anno 1734 den 6ten
novembris dem oberschultheiß zu Hochheim
ad publicantum zugestellt worden
desgleichen dem Oberschultheiß zu Flerßheim
Betrifft das fischen und krebsen
in der Flörsheimer bach
diesen befelch seind d 7ten marty 1738 auf
befelch Sr Hochwürd. Gnaden des Frey H
von Hoheneck wiederholter ahn Hochh
undt Flörsheim abgangen.
Hess. Staatsarchiv 105 363 007
Es wird hiermit aus Befehl Ihro
Hochwürdigen Gnaden Herrn Dhomb-
dechantd unseres allerseits gnädigen
Herrn denen sambtlichen Unter-
thanen und Einwohnern zu Hochheim
anbefohlen sich des fischens und kreb-
sen in der Flörsheimer Bach bey
hoher straf zu enthalten, auch wan ein
und anderer jemandt außer Meinem
bestellten Obsichter in dieser Bach
fischen oder krebsen sehen thäte,
und es nicht sogleich dem zeitlichen H.
Oberschultheißen in Hochheim an-
zeigen, es aber hernach an Tag kommen
würde, so solle derselbe mit eben solcher
straf als der thäter selbsten angesehen
werden, und damit sich keiner mit der
unwissenheit entschuldigen könne,
alß hätte H. Oberschultheiß der gantzen
versammleten gemeindt dieses zu ver-
kündigen, damit ein jeder sich dar-
nach zu richten habe; Hochheim
d 6ten Novembris 1737