Die Flersheimer Fischer um das Jahr 1500 beschäftigten mich in manch einer schlaflosen Nacht und ich dachte daran, dass sie ihren Familien, Freunden und Nachbarn an langen Winterabenden in der Schänke oder am Küchentisch beim Schein einer Kerze viel zu erzählen hatten – Erlebtes und Gehörtes, und dann könnte es sein, dass auch Fantastisches erzählt worden ist, in einer Zeit, in der eine Stille über dem Land lag, die wir Heutige uns nicht vorstellen können.

Denn in diese Stille hinein begannen die im Wind sich wiegenden Schilfhalme und der Fluss mit seinen Wellen zu wispern und zu raunen – und wenn ein schläfriger Fischer in seinem Nachen je eine Geschichte von ihnen gehört hatte, wird er sie weitererzählt haben. Und vielleicht war eine der nachfolgenden Erzählungen darunter, obwohl ich der Meinung bin, dass ich sie erdacht habe.

 


Der Fischer Hanns und der König der Salme

Es begab sich vor langer, langer Zeit. Da sah ein Flersheimer Fischer nach seiner Reuse, die er mitten im Mainfluss befestigt hatte, und wie wunderte er sich, dass sich ein gewaltiger Salm darin verfangen hatte. Der Fischer, Hanns mit Namen, löste den Fisch vorsichtig aus der Reuse und hob ihn in den wassergefüllten Fischkasten seines Nachens.

Dich, mein lieber Salm, werde ich zum Domdechanten nach Hochem bringen, der Domdechant und seine Köchin können sich über eine große Fischmahlzeit freuen und ich werde große Ehre beim Dechanten erringen“, sprach er laut vor sich hin – und erschrak im gleichen Augenblick, da der Fisch sein großes Maul öffnete und sprach: „Bitte nicht, Fischer. Ich bin auf dem Weg in meine Laichgründe und dort muss ich meinen Vaterpflichten nachkommen. Aber heute in fünf Wochen komme ich mit vielen meiner Gefährten zurück und ich und drei von ihnen werden dann in deinen Kahn springen. Vier Fische gegen einen, das sollte dir doch wohlgefallen, oder? Also lass mich frei.“

Nachdem der Fischer sich von seinem Schreck erholt, sich auf die Ruderbank seines Nachens gesetzt und sich am Kopf gekratzt hatte, sprach er wiederum laut zu sich selbst: „Diesem Fisch hier steht das Wasser bis zum Halse, da kann er viel versprechen, um seine Schuppen zu retten.“

Der Fisch hatte zugehört und antwortete: „Kannst du meine Sprache verstehen?“

Ja, das kann ich.“

Glaubst du, dass ich ein besonderer Fisch bin?“

Jedenfalls habe ich noch keinen sprechenden Fisch gefangen.“

Bin ich also etwas Besonderes?“

Ja, das wird wohl so sein. Wer bist du?“

Ich bin der König der Salme und ich bin vorausgeschwommen, ob der Weg den Main hinauf in den kleinen Fluss Sinn, in dem wir seit unvordenklichen Zeiten laichen, frei ist. Nun habe ich mich in der Mitte des Flusses gefangen und so wissen meine Leute, dass sie nahe am Ufer vorbeischwimmen müssen, damit ihnen nicht Gleiches geschieht.“

Dein Pech, Herr König“, sprach Hanns und löste sein Messer vom Gürtel, dem großen Salm den Garaus zu machen.

Ich fürchte mich nicht vor dem Tod“, sprach der Fisch, „aber ich könnte dir ein Geschäft vorschlagen.“

Was denn für ein Geschäft?“

Du lässt mich frei und es wird geschehen wie ich gesagt habe. Zu der genannten Zeit werde ich mit dreien meiner Freunde in deinen Kahn springen und du kannst uns alle vier töten und zum Dechanten bringen.“

Hanns kratzte sich wieder am Kopf, das tat er immer, wenn er über irgendetwas nachzudenken hatte. Nach einer Weile sagte er: „Einverstanden. Ich werde dich freilassen, aber in fünf Wochen, an einem Dienstag um die gleiche Zeit, werde ich hier wieder mit meinem Nachen liegen und dann könnt ihr hineinspringen.“

Abgemacht“, antwortete der Fischkönig und wedelte mit einer Flosse, und der Fischer griff in den Fischkasten, hob den Fisch heraus und setzte ihn vorsichtig ins Wasser, dass ihm ja kein Schaden entstehe, und mit einem gewaltigen Schlag seiner Schwanzflosse tauchte der Salm unter und schwamm davon.

Fünf Wochen später hatte Hanns seinen Nachen an die gleiche Stelle im Main geführt und wartete voller Spannung, was geschehen würde. Er sah einen großen Zug Salme den Main hinunter schwimmen und dachte schon, der Bursche hat mich hereingelegt, als es einen gewaltigen Platsch im Wasser vom Schlag einer Schwanzflosse gab und ein großer Salm in seinen Kahn sprang. Und noch dreimal platschte das Wasser und dann lagen vier große Salme in seinem Nachen und zappelten.

Da sind wir“, sagte der König, denn um den handelte es sich bei einem der Fische, „wie ich dir versprochen habe.“

Hanns schöpfte mit einem Ledereimer Wasser aus dem Main und goss es über die Fische, damit sie nicht zu Schaden kamen. Er dachte eine Weile nach und dann sagte er: „Ich will euch dem Fluss zurückgeben“, und er griff nach dem König.

Warum willst du das tun?“ fragte der, „du solltest uns zu deinem Dechanten bringen.“

Der bekommt morgen ein paar Karpfen von mir, er muss ja nichts von dir und den Deinen wissen. Wie heißt du eigentlich?“, fragte der Fischer.

Ich …“ und der Salm verzog sein großes Maul und es sah aus, als ob er lache, „meinen Namen könntest du nicht aussprechen, also nenne mich Gobes.“

König Gobes, du hast dein Wort gehalten, obwohl ich nicht daran geglaubt habe, und das ist mir Grund genug, dich und deine Genossen freizulassen. Schwimmt in euer großes Meer zurück und werdet sehr alt.“

König Gobes aber bewegte seinen großen Kopf und sagte: „Ich bin sehr alt und auch kein König mehr, denn ich habe dem Stärksten meiner vieltausend Söhne, der jetzt drei Jahre alt und im besten Salmenalter ist, die Königswürde übergeben – und diese drei meiner Getreuen wollen mit mir sterben, es ist eine große Ehre für sie.“

Gut“, sagte Hanns, „ich werde euch lebend in die Gemarkung der Stadt Hochem bringen, dort hat der Dechant einen großen Fischkasten im Fluss und dorthinein werde ich euch geben.“

Danke“, sagte Gobes, der kein König mehr war, „wir werden in Würde sterben.“

Und so geschah es, dass Hanns gemeinsam mit seinem Fischerfreund Josef die vier Salme nach Hochem brachte; Hanns sagte dem Flusswächter dort, er möge den Dechanten benachrichtigen, dass der Flersheimer Fischer Hanns ihm vier große Salme in den Fischbehälter gesetzt und ihm guten Appetit gewünscht habe, dann stakten er und Josef den Nachen nach Flersheim zurück.

Als Hanns dies am runden Tisch in der Mainschänke erzählte, glaubte ihm keiner der Fischer die Geschichte von dem sprechenden Fisch und dass es einen König der Salme gebe und dass der gemeinsam mit drei anderen Salmen in den Nachen des Hanns gesprungen sei, doch dass der Hanns vier große Salme nach Hochem gebracht hatte, das konnte Josef bestätigen.

Diese Geschichte hörten drei Jungfischer, sie ließ sie nicht ruhen und die drei Freunde nahmen sich vor, im nächsten Jahr den neuen König der Salme zu fangen. Und sie gaben sich ihr Wort darauf: Solle einer von ihnen diesen König in seinem Netz oder in seiner Reuse haben, dann solle er sich nicht wie der vertrottelte Alte mit vier Fischen zufriedengeben, nein, er solle ihn erst dann wieder freigeben, bis der Fischkönig nicht vier, sondern vierhundert Fische als Belohnung für seine Freiheit versprochen habe. Und als einer von ihnen, Anton mit Namen, den Fischer Hanns am Mainufer in der Sonne sitzen und ein Netz flicken sah, grinste er ihn an und sagte: „Vier Salmen hat der Fischkönig dir Einfaltspinsel versprochen, ich aber will vierhundert von ihm haben.“

Und tatsächlich gelang es Anton an einem Donnerstag im späten September des nächsten Jahres, mit seinem Wurfnetz einen großen Salm zu fangen, einen Fisch, der sich als Sohn des alten Fischkönigs und als neuer König zu erkennen gab.

Anton wollte für die Freiheit dieses Fischkönigs viele Salme haben und sagte zu ihm: „Ich lasse dich frei, wenn du mir versprichst, dass du mit vierhundert Salmen zurückkommst, die alle in meinen Nachen springen.“

Der König der Salme aber sagte: „Vierhundert Fische? Das sind zu viele, Fischer.“

Doch der Anton wollte nicht nachgeben und so gestand der Fischkönig ihm zu, in fünf Wochen zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu sein und gemeinsam mit vierhundert seiner Genossen in Antons Kahn zu springen. Der machte sich derweil lustig darüber, dass ein dummer alter Fischer sich mit vier Salmen zufrieden gegeben hatte. „Vierhundert Salme werden mich zu einem wohlhabenden Mann machen“, sprach Anton zu sich selbst und lachte sich ins Fäustchen; seinen zwei Fischerfreunden aber sagte er kein Sterbenswort.

Als die fünf Wochen vergangen und der Donnerstag gekommen war fuhr Anton hinaus zu der bestimmten Stelle im Mainfluss, den Sprung der Fische zu erwarten. Zwei Stunden später fand ein anderer Fischer den Anton regungslos in seinem Nachen sitzen, und als er näher kam und ihn tot sah, machte er eine Leine fest und schleppte Kahn und Toten nach Flersheim.

Der Gewaltbote als der für Flersheim zuständige oberste Polizist des Fürstbischofs in Mainz und ein Hochemer Chirurg wurden an das Mainufer gerufen, aber beide konnten sich keinen Reim darauf machen, wie ein Fischer in seinem Nachen sitzen und dennoch ohne eine Spur von Gewalt oder Fesselung ertrinken konnte. Auch als sie am Boden des Kahns viele Salme tot liegen sahen, flachgedrückt wie von einer großen Last, konnten sie sich nicht erklären, wie es zum Tod des jungen Fischers gekommen war. Da aber kein fremdes Verschulden erkannt wurde, gab der Gewaltbote Antons Leiche zur Beerdigung frei.

Als die Kunde vom Ertrinken des Anton den Fischer Hanns erreichte, dachte der bei sich: „Dieser junge Mann, dieser Anton hat, wie er selbst einmal lauthals verkündete, vierhundert Salme in seinem Kahn haben wollen, und wenn ihm der König der Salme sein Wort gegeben hat, dann sind auch vierhundert Fische in seinen Nachen gesprungen. Doch als der Anton auf der Ruderbank saß und die ersten Salme in seinen Nachen sprangen und seine Füße bedeckten, da lachte er noch, doch das Lachen verging ihm schnell, als die Flut der Fische ihm über die Knie stieg und ihn auf die Bank fesselte. Und immer mehr Fische sprangen in den Kahn und türmten sich auf, bis die Last der Fische den Kahn mitsamt dem Fischer unter Wasser drückte und den gierigen Anton ertränkte. Doch dann schwammen die meisten Salme davon, bis auf die Unglücklichen, die vom Gewicht der Fische über ihnen zu Tode gedrückt worden waren; der Kahn wurde leichter und tauchte mit dem toten Anton auf der Ruderbank aus den Fluten auf.“

Dann sprach er laut zu sich selbst: „Warum geben sich nur wenige Menschen mit Wenigem zufrieden? Sie müssten doch wissen, dass ein Überfluss nur denen zu Nutzen ist, die ohnehin viel besitzen.“

Bild: Atlantischer Lachs, Wikipedia, gemeinfrei