Waldbrand in Alberta

Vor einigen Tagen gab es eine Unterhaltung mit Bekannten. Einer von ihnen sagte: „Schlimm, diese Waldbrände in Kanada. Und dann noch im Ölsandgebiet von … wie heißt das noch? … von Fort McMurray. Wenn die Förderstätten dort abbrennen, wird es eine Katastrophe geben.“

„Durch einen Waldbrand können diese Förderstätten nicht abbrennen“, sagte ich.

„Nicht abbrennen? Warum nicht?“

„Die können durch einen Unglücksfall explodieren oder abbrennen, aber nicht durch einen Waldbrand.“

„Woher willst denn gerade Du das wissen?“

„Weil ich dort gewesen bin!“

Ja, ich war dort. Im Juni des Jahres 2006 waren meine Frau und ich im Ölsandgebiet und haben in Fort McMurray im „Super 8 Motel“ einige Tage gewohnt. Wir wollten uns ansehen, wie das ist mit dem Tagebau für die Athabasca-Ölsande.

Geflogen sind wir nach Calgary in der kanadischen Provinz Alberta und sind im Mietwagen in einer großen Schleife nach Lac La Bich und von dort etwa 300 km durch den borealen, den nördlichen Nadelwald bis Fort McMurray gefahren.

Fort McMurray ist die Stadt der Ölarbeiter, ihre Arbeitsstätten liegen etwa 30 km weit nördlich und dort wollten wir hin. Und wieder ging es durch Nadelwald, mit einem Halt an einem gigantischen Freilichtmuseum ausgemusterter Bagger, danach weiter zu einer kleinen Anhöhe. Rechts oben sahen wir in Stein gehauene Skulpturen von Bisons und dahinter, von der Kuppe aus … lag eine Ebene, die aussah wie der Strand der Nordsee bei Ebbe, nur weit größer, riesiger: eine graue Ebene bis über den Horizont hinaus. Das war sie, die Ödnis der Ölsande, die wir sehen wollten und die uns jetzt erschauern ließ. Unter dieser von Menschen geschaffenen Ödnis, jeglicher Vegetation beraubt auf einer Fläche, die in einigen Jahren so groß sein wird wie Bayern, soll mehr in Sand und Bitumen gebundenes Öl zu finden sein als unter der Wüste von Saudi-Arabien.

Und mitten drin, weit weg von Brennbarem, liegen riesige Fabriken, die aus dem Sand das Öl gewinnen, in einer kleinen Gruppe Interessierter konnten wir die Anlage von Syncrude Canada Ltd. besichtigen. Die größten Muldenkipper der Welt mit einem Fassungsvermögen von 400 Tonnen fahren Tag und Nacht das ganze Jahr über vom Tagebau in 30 Metern Tiefe zu den Industrieanlagen, um sie mit bitumenhaltigem Ölsand zu füttern. Doch das meiste Bitumen liegt für den Tagebau zu tief, es muss erbohrt, erhitzt und mit Wasser vermischt gefördert werden.

Wenn ich heute etwas über Fort McMurray wissen möchte, schaue ich im Internet nach. Ein Tütchen voll Ölsand aber erinnert mich noch immer daran, dass der globale Hunger nach Energie in der Gewinnung von Öl aus Albertas Ölsanden seinen apokalyptischen Höhepunkt gefunden hat: der Blick von der Anhöhe her auf die graue, kahle, riesige Fläche ohne Baum, Strauch und niedrige Vegetation und auf die Teiche voll mit giftigem Wasser lässt mich noch heute erschauern.

Von Edmonton aus flogen wir nach Deutschland zurück. Auf dem Weg zum Flughafen mit einer Schleife durch die Rocky Mountains sahen wir das Bilderbuchland Kanada mit wildschäumenden Flüssen, mit Seen voll mit klarem Wasser, mit Biberburgen- und dämmen, mit einem Schwarzbären am Straßenrand, mit Wildschafen, Kanadagänsen und einem Himmel voller Schwalben.

Algen, Bakterien und Bitumen

Alles Rohöl, auch Kanadas Bitumen- und Schweröl-Ressourcen, begannen mit lebendem Material. Vor Hunderten von Millionen Jahren wurden die Überreste winziger Pflanzen und Tiere – hauptsächlich Algen – im Meeres­boden begraben.

Als das organische Material tiefer vergraben wurde, „kochte“ es langsam bei Temperaturen zwischen 50 und 150 Grad Celsius. Schließlich wandelte dieser Prozess die Materialien in flüssige Kohlenwasserstoffe (Verbindungen aus Wasserstoff und Kohlenstoff) sowie Schwefelverbindungen, Kohlendioxid und Wasser um.

Zu den flüssigen Kohlenwasserstoffen gehörten beide „leichten“ Verbindungen – solche mit nur wenigen Kohlenstoffatomen, die von Wasser­stoff­atomen umgeben sind – und große „schwere“ Moleküle, die aus viel mehr Kohlenstoffatomen und relativ wenigen Wasserstoffatomen bestehen. Leichte Kohlenwasserstoffe ähneln denen in Benzin, Diesel und Flugbenzin. Schwere Kohlenwasserstoffe sind in Wachs, Fett, Teer und Asphalt zu finden.

Die Kohlenwasserstoffe wanderten dann durch sedimentierte Felsen nach oben, bis sie die Oberfläche erreichten oder blockierte wurden. Herkömmliches leichtes Rohöl ist in der Regel in poröses Gestein unter einer Schicht aus undurchlässigem (nicht porösem) Gestein eingeschlossen. In solchen Lagerstätten befindet sich das Öl nicht in einem unterir­dischen „See“. sondern in den Poren und Brüchen von Gestein wie Wasser, dort gehalten wie in einem Schwamm.

Die Ölsande in der kanadischen Provinz Alberta sind anders. Vor fünfzig Millionen Jahren wanderten riesige Ölmengen durch 100 Kilometer Fels nach Osten – siehe farbige Grafik – und nach oben, bis sie große Sandsteinflächen an oder nahe der Oberfläche erreicht hatten. Bakterien labten sich an den Kohlenwasser­stoffen und verwandelten in einer großen Mahlzeit langsam das Öl in Bitumen.

Die englischen Bezeichnungen in der Grafik sind verständlich und müssen nicht übersetzt werden.

Athabasca-Öl-Sande sind die weltweit größten bekannten Kohlenwasser-stoffressourcen. Geologen weisen darauf hin, dass das Volumen des ursprünglichen Rohöls, das von den Mikroorganismen verdaut wurde, mindestens zwei- oder dreimal größer war als das, was jetzt als Bitumen übrig blieb.

Bakterien fressen immer zuerst die einfachsten Kohlenwasserstoffe und wandeln sie in Kohlendioxid und Wasser um, während sie die großen Kohlenwasserstoffmoleküle wie Asphalt und die Nicht-Kohlenwasserstoffe wie Schwefel und Nickel ignorieren. Als Ergebnis gibt es mehr schwere Kohlenwasserstoffe, Schwefelverbindungen und Metalle in Bitumen als in herkömmlichem Rohöl. Dies macht die Verarbeitung schwieriger und teurer.

Die Firma Sycrude, die auf den Ölsandfeldern ihren Sitz und ihre Raffinerien hat, schreibt in einem bunten Prospekt: „Die Herausforderung der Zukunft liegt in der Weiterentwicklung dieser Ölsande und schweren Ölressourcen, um den Brennstoffbedarf von Nord­amerika in einer Weise zu decken, die wirtschaftlich und sensibel ist und die Bedürfnisse der Anwohner und die Qualität der Umgebung befriedigt.“

Nun folgen einige Fotos, die wir bei unserem Besuch der Athabasca-Ölsande gemacht haben:

Die Steinskulpturen oberhalb der Zufahrt zu den Ölsanden sollen darauf hinweisen, dass in einigen Jahren und nach der Rekultivierung der Flächen dort wieder Bisons grasen können.

Diese Schaufel wurde ausgemustert, Schaufelradbagger für unterbrechungs-freies Arbeiten haben sie ersetzt.

Blick auf eine Ödnis ohne Vegetation und Tiere: Hier liegt der Ölsand für den Tagebau.

Ein Tütchen mit Ölsand und der Inschrift: „Man braucht vier volle Muldenkipper (mit je 400 Tonnen) mit Ölsand, um ein Barrel Öl (159 Liter) zu erzeugen.

Diese Probe von Athabasca-Ölsand wurde entnommen von Syncrude Canada Ltd., einem der größten Tagebaue der Welt.

Ölsand besteht haupt­sächlich aus Quarzitsand, Wasser und Bitumen. Ein feines Sandkorn ist umgeben von einem dünnen Wasserfilm und umgeben von einem Film von Bitumen. Bitumen ist ein extrem viskoses Öl, synthetisches Rohöl ist davon abgeleitet.“