Berthold von Henneberg, Kurfürst und Erzbischof von Mainz: Der Staatsmann

Es war Berthold von Henneberg, der 1484, im Jahr seiner Wahl zum Erzbischof von Mainz, mit dem Bau, der Erneuerung und der Erweiterung von Landwehren zur Abgrenzung und Sicherung seines Territoriums begann. Über seine Person und Persönlichkeit möchte ich nun berichten, aber zuerst sein Wappen zeigen, das noch heute an vielerlei Orten zu sehen ist.

So wie in Dieburg: Dort gibt es mehrere Wappensteine des Berthold von Henneberg im Museum Schloss Fechenbach zu sehen (unten Fotos hjg). Die Ursache für die Wappen in Dieburg mag der Dieburger Vertrag sein; von diesem Vertrag habe ich nicht mehr gefunden als dies: „Berthold von Hennebergs friedlich-vermittelnde Politik hatte ihre Grenzen am Gebot staatlicher Selbsterhaltung. Zahlreiche nachbarliche Händel, zumal mit Kurfürst Philipp von der Pfalz, waren die Folge. Vergebens suchte B. durch den Dieburger Vertrag (1486) zu einem modus vivendi, (hjg: zu einer Übereinkunft) zu gelangen; seit 1491 spitzten sich die territorialen Gegensätze derart zu, daß ein Krieg unvermeidlich schien (1494). Erst 1502 wurde diese Gefahr endgültig gebannt.“

Hier der Wappenstein aus der Monsfelder Pforte, dem nördlichen Stadttor Dieburgs …

und hier vom Dieburger Albinischloss.

Hier das Wappen im Schloss Tauberbischofsheim …

und hier am Schaafheimer Wartturm.

Nachfolgend einige Berichte mit Nachrichten über Berthold von Hennebergs Leben und Wirken in einer unruhigen Zeit am Ende des Mittelalters. Als Erzkanzler und Mainzer Kurfürst bestimmten seine Persönlichkeit und sein Gestaltungswillen zwanzig Jahre lang die Politik im Deutschen Reich, oft im Gegensatz zum damaligen König und Kaiser Maximilian; als Staatsmann vom Mittelrhein ging er in die Geschichte ein. Zwei Bildnisse im Mainzer Dom erinnern an einen Mann, der auch die Kraft hatte, für den Schutz seiner Untertanen und die Mehrung der Einkünfte seines Kurstaates mächtige Landwehren und Warten errichten zu lassen.

Ein Staatsmann vom Mittelrhein
Gestalt und Werk des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs
Berthold von Henneberg

von Prof. Dr. Karl S. Bader
ist eine kleine Broschüre mit dem Inhalt:
Gestalt und Persönlichkeit
Das Reformwerk Bertholds von Henneberg
Der Staatsmann vom Mittelrhein
Literatur

In dieser Broschüre wird ein anderer Erzbischof als der Erbauer von Landwehren sichtbar, ein Mann, der in seinen Mainzer Jahren von 1484 bis 1504 ein großer politischer Mensch gewesen ist.

Aus der genannten Broschüre habe ich einige Daten herausgesucht, die das Leben Bertholds von Henneberg beschreiben:

„Er wurde um 1440 als siebter Sohn und zwölftes Kind des Grafen Georg von Henneberg-Römhild geboren. Mit drei anderen Brüdern für die geistliche Laufbahn bestimmt, finden wir ihn 1455 an der kurmainzischen Universität Erfurt immatrikuliert. Noch als Knabe erlangte er Pfründen zu Straßburg und Köln, mit 23 Jahren wird er 1464 Domherr in Mainz, nachdem er in der Zwischenzeit Rom und Italien kennengelernt hatte. 1474 wurde er zum Dechant des Mainzer Domkapitels erwählt und trat damit in den engeren Kreis der in Erzstift und Kurstaat verantwortlichen Männer ein.“

An anderer Stelle heißt es dort:

„Berthold von Henneberg stammt aus einer Familie, die in der Mitte des 15. Jahr- hunderts über die große Zahl gräflicher Geschlechter Mitteldeutschlands hinaus= wuchs und in Reich und Territorien bedeutenden Einfluß errang. Die Stammburg der Grafen von Henneberg liegt südlich von Meiningen in der Nähe der Werra. Als Grafen im Grabfeldgau verfügten die Popponen in salischer Zeit über eine wichtige Reichsvogtei und übten als Reichsburggrafen von Würzburg ein für das kai­serliche Haus bedeutsames Amt aus. Seit dem 13. Jahrhundert ging infolge von Hausteilungen der Einfluß zurück und auch der Teil, der den Grafen von Henne­berg verblieb, erlitt nochmals eine Einbuße durch die Aufspaltung in zwei Linien: die von Henneberg-Schleusingen und die von Henneberg-Römhild. Im 15. Jahrhundert gelang es aber beiden Linien, durch eine dem Stil der Zeit entsprechende Verbindung weltlicher und kirchlicher Ämter zu neuem Ansehen zu gelangen. Drei Grafen aus dem Hause Schleusingen hatten in der Generation, der auch Berthold angehörte, wichtige und einträgliche Domherrenpfründen an fast allen Domstiften des deutschen Westens. Die Linie Römhild stand den Schleusinger Vettern darin nicht nach. Von den Brüdern Bertholds war Graf Philipp 1475 bis 1487 Bischof von Bamberg, Graf Georg (gest. 1508) Domherr zu Straßburg, Köln und Würzburg und später Mitglied des Deutschordens, Graf Heinrich (gest. 1520) Scholaster zu Straßburg und seit 1489 Propst zu Aschaffenburg. Zwei weitere Brüder Bertholds, die sich in den väterlichen Besitz teilten, gerieten miteinander in Streitigkeiten, die dem Territorialbesitz zeitweise abträglich waren; Graf Friedrich einigte sich aber mit seinem Bruder Otto auf eine Teilung, und beide waren bemüht, den geschmälerten Einfluß· durch wichtige politische Verbindungen zu ersetzen. Überdies beerbte Friedrichs Sohn Hermann seinen Onkel Otto und vereinigte so die Güter der Römhilder Linie wieder in einer Hand. 1491 heiratete Hermann von Henneberg die Tochter eines der einflußreichsten Fürsten seiner Zeit, des Markgrafen Albrecht Achilles. Den weitreichenden deutschen und römischen Beziehungen des Grafen Otto gelang es durchzusetzen, daß seit 1474 die Grafen von Henneberg zu den Reichsfürsten zählten; Otto hat sich im übrigen stets als treuer Helfer seines Bru­ders Berthold, des nachmaligen Erzbischofs von Mainz, erwiesen.

Nachfolgend über Bertold von Henneberg aus regionalgeschichte.net vom Institut für Landesgeschichte an der Universität Mainz, dessen Mitglied ich bin:


„Berthold von Henneberg (1441/42–1504)

1484 wurde Berthold von Henneberg einstimmig zum Erzbischof von Mainz gewählt. Als Kurfürst und Reichserzkanzler gehörte er zu den ranghöchsten Fürsten des Reiches; und das zu einer Zeit, als im Heiligen Römischen Reich die Machtfrage zwischen dem Kaiser und den Reichsständen (Anm. 1) offen diskutiert wurde.


Kurfürst Berthold von Henneberg und der Reichstag zu Worms 1495

Als der römisch-deutsche König Maximilian I. im November 1494 den Wormser Reichstag für den Februar 1495 ausschrieb, standen außenpolitische Probleme im Vordergrund. Für einen Krieg gegen das Osmanische Reich und die Abwehr von Karl VIII. von Frankreich, der in Italien eingefallen war, brauchte er die Unterstützung der Reichsstände. (Anm. 2) Zum Reichstag 1495 traf Berthold von Henneberg als Wortführer der Reichsstände am 26. März zur selben Zeit in Worms ein wie König Maximilian. Dem Verhandlungsgeschick des Mainzer Kurfürsten gelang es immer wieder, die Interessen jeweils innerhalb der Kurfürsten, der Reichsfürsten und der Freien und Reichsstädte zu bündeln und dann zwischen ihnen eine tragfähige Ausgangsposition für die Verhandlungen mit dem König zu finden. Anfangs weigerten sich die Reichsstände erfolgreich, über die von Maximilian geforderte „eilende Hilfe“ zu verhandeln. Erst als sich Ende Juni Karl VIII. aus Italien zurückzog, war Maximilian vom außenpolitischen Druck befreit und wandte sich der innenpolitischen Auseinandersetzung zu. Nun erklärte er sich bereit, zuerst Verhandlungen über notwendige Reformen im Reich zu führen, um anschließend über die Unterstützung bei den Feldzügen und über Reichssteuern zu sprechen. Der König sprach zwar von Erpressung, lenkte aber gegenüber den gestärkten Reichsständen ein. Die wichtigsten Ergebnisse des Reichstages zu Worms waren die Reformgesetze zum ‚Landfrieden‘, zum ‚Kammergericht‘ und zum ‚Gemeinen Pfennig‘. Beim Landfrieden handelte es sich um das endgültige und unbefristete Verbot des mittelalterlichen Fehderechts. (Anm. 3) An die Stelle von Fehden, Gewalt und Krieg sollte das 1495 gegründete Kammergericht geregelte Streitverfahren setzen. (Anm. 4) Der Gemeine Pfennig, den jeder Untertan ab 15 Jahren zu entrichten hatte, war je nach Status und Vermögen als Kopf-, Einkommen- oder Vermögensteuer gestaltet; er diente der Finanzierung der vom König zu führenden Kriege. (Anm. 5) Einer der Streitpunkte zwischen Fürsten und König war außerdem die Frage des ‚Reichsregiments‘. Nach den Vorstellungen der Stände und Bertholds von Henneberg sollte die Reichsregierung nach einer freiwilligen Entmachtung des Königs und des Kaisertums auf einen Rat übertragen werden. Damit wäre die Monarchie durch eine Oligarchie der Kurfürsten ersetzt worden. Der Gegenvorschlag Maximilians, einen Hofrat zu bilden, der bei Abwesenheit des Königs die Vertretung übernehmen sollte, lag nicht im Interesse der reformwilligen Adligen. Eine einheitliche Auffassung der Reichsstände zum ‚Reichsregiment‘ (Anm. 6), gab es von Anfang an nicht, da einige fürchteten, Privilegien zu verlieren. Daher zog Berthold von Henneberg diese Forderung, die er für den zentralen Punkt der Reformpläne hielt, zurück. Die von den Reichsständen versprochenen 100.000 Gulden für die Kriegsführung des Königs wurden ausgezahlt. Der konsequenten, aber auch kompromissbereiten Verhandlungsführung des Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg sind am Ende des Mittelalters weitreichende Weichenstellungen bei der Weiterentwicklung unseres Staatswesens zu verdanken. Landfriede und Kammergericht sind eine wichtige Grundlage des heutigen Rechts-staats. Begriff und Institution des Reichstags haben den Adel gelehrt, sich zu versammeln, um gemeinsam politische Ziele zu verfolgen. Und der König nahm den Reichstag als einflussreiche politische Institution wahr.


Erzbischof Berthold von Henneberg als Stadtherr von Mainz

Berthold von Henneberg trug erheblich dazu bei, dass sich das durch die Stiftsfehde (1462) immer noch geschwächte Erzstift wieder wirtschaftlich und territorial erholen konnte. Als Stadtherr förderte Berthold in zahllosen Verordnungen die Wirtschaft, so z. B. in Verordnungen für das Kaufhaus inklusive der Regelung des ‚Pfundzolls‘ (Anm. 7), für das ‚Ungeld‘ (Anm. 8) von Früchten, Mehl, Salz und Kohlen, oder das ‚Wegegeld‘ für Wagen und Karren. Außerdem führte er genaue Bestimmungen zum Eid für die ‚Unterkäufer‘ (Makler) ein, für die Geldwaage, die Bestallung der Werkleute, die Kranengefälle (Gebühr für die Nutzung des städtischen Krans am Rheinufer), die Schatzung (Einzug der direkten Steuern) oder den Straßenverkehr. Berthold erreichte, dass der pfälzische Kurfürst Philipp von der Pfalz 1486 das Mainzer Stapelrecht vertraglich anerkannte. Da die Geistlichkeit über den meisten Grundbesitz in Mainz verfügte, verbot er, dass ohne seine Zustimmung weiterer Grundbesitz an die „tote Hand“ (Anm. 9) gelangte; dieses Verbot hatte letztlich nur geringen Erfolg. Wie detailliert er in seinen Verordnungen die Pflichten der Bürger regelte, zeigt sich an der ‚Aufruhr- und Feuerordnung‘, die das Wehrwesen und die Brandbekämpfung regelte. Um zu verhindern, dass sich Bürger gegen den Stadtherren zusammenrotteten, durften sie sich ohne den Auftrag des Vizedomamtes nicht mit Waffen versammeln. Bei einem zu befürchtenden Angriff auf die Stadt mussten sich die Bürger, sobald sie die Sturmglocke hörten, in voller Rüstung am Graben, auf dem Dietmarkt (dem heutigen Schillerplatz), vor St. Antonius oder am Kaufhaus einfinden. Wegen der Brandgefahr aufgrund der zahlreichen Fachwerkhäuser in der Stadt waren die Pflichten der Einwohner genau festgelegt. Die Schornsteine mussten regelmäßig gefegt werden. Jede Bruderschaft (Zunft) musste wenigstens acht Ledereimer zur Verfügung stellen. So hatten beispielsweise Schornsteinfeger und Dachdecker ihre Leitern an den Brandort zu bringen. Alle Bürger, die Mitglieder des Augustiner-, Franziskaner-, Dominikaner- und Karmeliterordens sowie Juden und die in Mainz lebenden Dirnen waren verpflichtet, das Löschwasser herbeizutragen. Die Kärcher (Fuhrleute) mussten jederzeit ein mit Wasser gefülltes Fass von wenigstens einem halben Fuder (ca. 500 Liter) bereithalten und sofort zur Brandstelle fahren. Die Bader mussten sich um Verletzte kümmern. – Auch Belohnungen und Strafen waren klar geregelt: Wer als erster an der Brandstelle eintraf, wurde mit acht Albus (Anm. 10) belohnt; der zweite erhielt sechs, alle anderen zwei Albus. Der Letzte musste 6 Albus bezahlen – und wer gar nicht kam zahlte einen Gulden (= 30 Albus). 1489 ließ Berthold den Südwestturm der St. Quintinskirche mit einer Türmerwohnung errichten. Der Türmer war gehalten, Feuer in der Stadt sofort zu melden. Am Turm der St. Quintinskirche befindet sich das Wappen von Berthold von Henneberg. Der Stadtherr sorgte, indem er die Bürger zum Schutz des Gemeinwesens mitverantwortlich machte, für Ruhe und Ordnung in der Stadt. Nach kurzer, schwerer Krankheit starb Berthold am 21. Dezember 1504 (hjg: in Aschaffenburg). Das Grabmal von Berthold von Henneberg im Mainzer Dom zeigt diesen bedeutenden Kurfürsten und Erzbischof in einer Größe von über fünf Metern. Dieses Grabmal schuf der in Mainz tätige Bildhauer Hans Backoffen (um 1470 – 1509) noch im Stil der Hochgotik.


Verfasser:
Wolfgang Stumme, veröffentlicht am 19.01.2017

Anmerkungen:

1. Die Stände im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches bildeten seit 1489 drei Kollegien: das Kurfürstenkollegium, den Reichsfürstenrat und das Kollegium der Freien und Reichsstädte.

2. Die von Maximilian für den Reichstag eingeplanten zwei Wochen waren nicht zu halten, da die Reichsstände nicht an Feldzügen, sondern an der Reichsreform interessiert waren. Der Reichstag dauerte vom 26. März bis zum 7. August 1495.

3. Im Reichsgebiet wurden trotz des Verbotes noch Fehden bis weit in das 16. Jahrhundert geführt, das bedeutete, dass Rechtsbrüche zwischen Geschädigtem und Schädiger direkt – ohne eine übergeordnete Instanz – geregelt wurden.

4. Anfangs wechselte der Sitz des Kammergerichts häufig. Nach Frankfurt am Main, Worms, Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Speyer und Esslingen war es ab 1527 in Speyer. Nach der Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg war es von 1689 bis zu seiner Auflösung1806 in Wetzlar ansässig.

5. Wegen der Probleme bei der Erhebung der Steuer wurde der Gemeine Pfennig als erste Reichssteuer bereits 1505 ausgesetzt.

6. Erst ein erneuter Vorstoß des Mainzer Kurfürsten auf dem Augsburger Reichstag von 1500 führte zur Bildung des Reichsregiments, das aus Maximilian und 20 Vertretern der Reichsstände bestand. König Maximilian ignorierte jedoch dieses Organ und löste es zwei Jahre später auf.

7. Der Pfundzoll war eine auf den Warenwert bezogene Abgabe, die Kaufleute für eingeführte oder verkaufte Waren pro Pfund zu errichten hatten. Bei Gütern wie Steine oder Kohle wurde der Zentnerzoll erhoben.

8. Das ‚Ungeld‘ war eine seit dem 13. Jahrhundert erhobene Verbrauchssteuer.

9. Tote Hand‘ ist die rechtliche Bezeichnung für das Eigentum meist unbeweglicher Wirtschaftsgüter durch Korporationen, wie z. B. der Kirche, die vom Erbgang ausgeschlossen und dem Privatrechtsverkehr entzogen sind. 

10. Der ‚Albus‘ (= weiß, aufgrund des hohen Silbergehalts) war in weiten Teilen des Deutschen Reichs, vor allem jedoch innerhalb des Rheinlands, verbreitet.“

Hier noch der Artikel „Bertold, Erzbischof und Kurfürst von Mainz“ von Karl August Klüpfel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 524–528, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource:


„Berthold, Kurfürst und Erzbischof von Mainz

Bertold, Erzbischof und Kurfürst von Mainz 1484–1505, ein bedeutender Staatsmann, wurde 1442 (Monat und Tag sind unbekannt) geboren als zwölftes Kind des Grafen Georg von Henneberg, Römhilder Linie, und dessen zweiter Frau Joanetta, einer geborenen Gräfin von Weilburg-Saarbrücken. Als nachgeborener Sohn frühe zum geistlichen Stande bestimmt, wurde er bereits im neunten Jahre Domherr in den Stiftern Mainz, Köln und Straßburg. Nach dem 1465 erfolgten Tode seines Vaters entsagte er zu Gunsten seiner Brüder, Friedrich und Otto, allen Erbansprüchen an die hennebergischen Besitzungen, 1474 wurde er zum Dechant des Erzstifts Mainz, zehn Jahre später zum Erzbischof erwählt und als solcher den 14. Mai 1485 von Papst Innocenz VIII. bestätigt und am Sonntag Lätare im Dom zu Mainz von dem Bischof Johann Dalberg von Worms geweiht. Die Stiftsangehörigen erschraken ob seiner Wahl, weil er als ein Mann von strengem, unbeugsamem Charakter bekannt war. Bald aber ward er wegen seines Wohlwollens und seiner Gerechtigkeit allgemein beliebt. So berichtet der Geschichtschreiber des Erzbisthums Mainz, Nicolaus Serrarius. Derselbe schildert ihn als einen sehr verständigen klugen Mann, von einnehmender Redegabe, hervorragender Thatkraft, zuverlässigem Gedächtniß, schlanker Gestalt und eleganten Formen.

Als großer Staatsmann ist B. erst von Ranke* entdeckt und ans Licht gestellt worden. Von seiner Bildungslaufbahn, von seiner Entwicklung in der Jugend und seinem Leben vor Antritt seines bischöflichen Amtes wissen wir fast Nichts. Niemand hat sein Leben beschrieben; erst am Ende des 16. Jahrhunderts hat obengenannter Serrarius nach älteren Schriften und mainzischen Urkunden die Thatsachen seiner kurfürstlichen Regierung zusammengestellt, und seine politische Thätigkeit tritt in den Berichten über die Reichstagsverhandlungen, bei denen er mitgewirkt hat, hervor. Aus der Geschichte seiner Regierung ersehen wir, daß er eine sehr rege Thätigkeit entwickelte, ein scharfes Auge auf die Ausübung der Rechtspflege hatte, in Händeln seiner Nachbarn häufig vermittelte, Bündnisse zur Aufrechterhaltung des Landfriedens schloß und seine Suffragan-Bischöfe öfters zu Synoden berief, die Klöster reformirte und strenge einschritt, wenn die Disciplin in Verfall gerathen war. In kirchlichen Dingen war er sehr conservativ. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Kurfürst war die Einsetzung von Censoren in Mainz und Frankfurt; er bestellte dazu einen Theologen, einen Juristen und einen Mediciner. Der Druck und die Uebersetzung von theologischen und kirchenrechtlichen Büchern in den genannten Städten gab ihm hiezu Veranlassung. Als er einst hörte, daß sich in der Mainzer Diöcese Abweichungen von der Kirchenlehre, namentlich in Betreff der Sacramente verbreiteten, beauftragte er sogleich einige Kleriker, die Sache zu untersuchen und die Schuldigen zu bestrafen. Kamen Geistliche mit dem weltlichen Regiment in Conflict, so war er schnell bereit, ihnen kräftigen Schutz zu gewähren. Als einst die Geistlichen der Stadt Bingen ihn um Hülfe gegen den Rath der Stadt anriefen, erschien er eines Morgens vor Tagesanbruch mit 40 Bewaffneten in dem bei der Stadt gelegenen Castell Klopp, ließ den Magistrat der Stadt zu sich rufen, setzte einige Mitglieder desselben gefangen, verbannte andere aus dem kurfürstlichen Territorium, setzte einen neuen Rath, neue Schöffen und Richter ein und reformirte die Stadtverfassung nach seinem Gutdünken.

An den Reichsangelegenheiten nahm er bald nach seinem Regierungsantritt eifrigen Antheil. Auf dem Reichstag 1486 erschien er mit großem Gefolge von geistlichen und weltlichen Würdenträgern und betheiligte sich eifrig an den Berathungen über die Wahl des Kaisersohnes Maximilian zum römischen König. Er war es hauptsächlich, der seine Wahl durchsetzte. Von dem Frankfurter Reichstag, auf welchem er auch die Belehnung mit den Regalien empfing, zog er mit einem Gefolge von 350 Reitern nach Aachen zur Krönung des römischen Königs und vollzog dort die ihm bei dieser Feierlichkeit zustehenden Functionen. Auf dem Reichstag 1487 setzte er es durch, daß auch die Abgeordneten der Städte zu den Ausschüssen für Veranstaltungen über den Landfrieden und die Geldverwilligungen beigezogen wurden. Zu dem jungen strebsamen römischen König scheint B. in nähere Beziehungen gekommen zu sein; er suchte ihn für die Verfassungsreformen zu gewinnen, die damals besprochen wurden und für deren Ausführung sich bereits eine Partei unter den Reichsständen gebildet hatte. Als Maximilian in den Niederlanden residirte, kam B. öfters zu ihm auf Besuch nach Brüssel. Nach der Gefangennehmung des römischen Königs in Brügge gaben seine Räthe, Graf Adolf von Nassau und Johannes von Quadt, sogleich dem Erzbischof Nachricht; er pflog alsbald mit dem Pfalzgrafen Philipp Rath, was zu thun sei, und setzte Alles in Bewegung, um für seine Befreiung zu wirken. Er schickte Botschaften an Erzherzog Philipp, schrieb an die Stände von Brabant, Flandern und Mecheln, rief seine Vasallen auf und stellte zu dem Heer, das nach den Niederlanden zog, ein ansehnliches Contingent. Bei der Gründung des schwäbischen Bundes, der für die Organisirung der allgemeinen deutschen Landfriedensordnung als Grundlage und Vorbereitung dienen sollte, wirkte B. durch Rath und That mit. Er erklärte sich alsbald bereit, als Mitglied einzutreten, obgleich er nicht zu den schwäbischen Reichsständen gehörte. Kaiser Friedrich, der, wie es scheint, fürchtete, er könnte gar zu viel Einfluß gewinnen und sich der Leitung des Bundes bemächtigen, suchte seinen Beitritt zu hindern und schrieb am 14. Sept. 1488 an die Bundesräthe: die Aufnahme großer Häupter aus der Reihe nicht schwäbischer Fürsten solle ihn unfruchtbar bedünken, und er fürchte, es könnte dies mehr Zerrüttung als Nutzen bringen. Bald darauf besann er sich eines anderen; er bedachte, es sei besser, der mächtige Kurfürst werde Mitglied des Bundes, als ein Gegner desselben, und gab die Erlaubniß zu seinem Beitritt. Dies genügte aber B. nicht; er erbat sich zur Rechtfertigung gegenüber von den anderen Bundesständen einen ausdrücklichen kaiserlichen Befehl, der ihm auch am 4. Dec. 1488 ertheilt wurde. Im folgenden Monat finden wir den Erzbischof auf einem zahlreich besuchten Bundestag im Gmünd, und am 15. Januar 1489 wurde seine Aufnahme verbrieft. In demselben Jahre spielte B. auf dem Reichstage zu Nürnberg eine einflußreiche Rolle. Die Reichsstände hatten die Forderung gestellt, daß ein über allen landesherrlichen Gewalten stehendes, von dem Reichstage bestelltes Reichsgericht eingesetzt werde. Kaiser Friedrich sträubte sich hartnäckig dagegen, weil er darin eine Schmälerung seiner gerichtlichen Souveränität sah. B. gewann nun den jungen römischen König für das Project eines höchsten reichsständischen Gerichts und vermochte Maximilian die Zusage zu geben, daß er bei seinem Vater Alles thun wolle, um ihn dahin zu bringen, daß er das Gericht nach dem Vorschlag der Stände einsetze. Wenn er damit auch nicht durchdrang, so war er doch durch diese Zusage für seine Person gebunden, künftig, wenn er zur Regierung gekommen wäre, dieses Gericht ins Leben zu rufen.

Kurz nachdem Maximilian die Reichsregierung übernommen hatte, trat B. auf die Bitte des neuen Reichsoberhauptes in die Reichskanzlei ein, folgte dem kaiserlichen Hofe und übernahm die Geschäfte des Reichserzkanzlers. Für die Verwaltung seines Erzbisthums bestellte er einen Stellvertreter, den Grafen Johann von Isenburg-Büdingen. Bertolds selbständige Wirksamkeit beginnt auf dem Reichstag, der im Frühjahr 1495 in Worms gehalten wurde. Maximilian, von Frankreich und den Türken mit Krieg bedroht, forderte auf diesem Reichstag ein schleuniges Aufgebot der gesamten Reichsmacht und ein stehendes Heer auf 10–12 Jahre, oder Geld, um ein solches anwerben und so lange unterhalten zu können. Die Reichsstände erklärten: sie seien zwar bereit, zur Ehre des Reiches und zur Vertreibung der Franzosen und der Türken das Ihrige zu thun, aber sie könnten keine Hülfe für auswärtige Angelegenheiten leisten, ehe die Gebrechen des Reichs gehoben, ein beständiges Gericht, Landfrieden und Ordnung hergestellt sei. Es wurde sofort ein Ausschuß von vier Mitgliedern niedergesetzt, der ein Gutachten abfassen sollte, wie die Sache auszuführen wäre. Dieser Ausschuß, in welchem auch ein Bruder Bertolds, Graf Heinrich von Henneberg, saß, legte nun einen umfassenden Reformplan vor, der wahrscheinlich schon vorher verabredet war. Die Hauptpunkte waren: die Errichtung eines ständigen höchsten Gerichtshofes für ganz Deutschland und eines aus siebzehn Mitgliedern bestehenden Reichsrathes, der von den Kurfürsten und den anderen geistlichen und weltlichen Fürsten besetzt werden und das ganze Gewicht der Reichsregierung in die Hand nehmen sollte. Jenes Reichsgericht war eine alte, schon öfters vorgebrachte Forderung, aber der Reichsrath war etwas ganz Neues, das die bisherige Reichsverfassung wesentlich geändert haben würde. Die Vollziehungsgewalt wäre damit vom Kaiser auf die Reichsfürsten, die monarchische Spitze wäre in eine vielköpfige aristokratische Körperschaft übergegangen. Die Urheber des Planes gingen von der Voraussetzung aus, daß die einzelnen Reichsstände bereits so viel von der königlichen Gewalt in Besitz hätten, daß eine kräftige Regierung, eine Unterordnung unter die Befehle des Kaisers nicht mehr möglich und daß das dermalige Reichsoberhaupt, durch die Interessen seiner vielen Erbländer gebunden, auch nicht mehr im Stande wäre, das Wohl des Reiches als einzige Norm seiner Politik im Auge zu behalten. Es wird in den zeitgenössischen Berichten nirgends ausdrücklich gesagt, daß dieser Plan vom Kurfürst B. ausgegangen sei; aber nach seinem Auftreten auf dem Reichstag des folgenden Jahres und nach den Vorwürfen, welche Maximilian einige Jahre später gegen ihn erhebt, ist es sehr wahrscheinlich, daß B. der eigentliche Urheber des radicalen Reformprogrammes war. Maximilian ging, wie nicht anders zu erwarten war, auf diese Vorschläge nicht ein, er zögerte zunächst mit der Antwort und erwiederte endlich mit Verbesserungsvorschlägen, welche genau besehen die Grundgedanken des Entwurfs aufhoben. Nach längeren Verhandlungen kam es zu einem Compromiß, nach welchem Maximilian die Errichtung des höchsten Reichsgerichtshofes zusagte und zur Festsetzung einer Landfriedensordnung seine Zustimmung gab, andererseits verwilligten die Reichsstände eine allgemeine Reichssteuer, den sogenannten gemeinen Pfennig, der, wenn er überall erhoben und streng eingezogen wurde, eine ansehnliche Summe ertragen mußte. Diese Beschlüsse sollten auf dem Reichstag des folgenden Jahres ergänzt, bestätigt und über die Art ihrer Ausführung Anordnungen getroffen werden. Das Reichsgericht wurde im November 1495 zu Frankfurt eingesetzt, aber schon im folgenden Frühjahr gerieth seine Thätigkeit ins Stocken; der Präsident, den der König ernannt hatte, wurde zu anderen Geschäften abberufen, und die Räthe zogen ab, weil sie ihre Besoldungen nicht ausbezahlt erhielten. Der gemeine Pfennig wurde von dem römischen König nicht einmal in seinen Erblanden erhoben, und der Adel verweigerte in verschiedenen Gegenden des Reiches die Bezahlung, weil er auf dem Reichstag nicht vertreten gewesen und an der Verwilligung keinen Theil genommen habe. Der Reichstag, der diesmal nach Lindau berufen wurde, konnte, weil das Reichsoberhaupt anderwärts beschäftigt war und auch die Reichsstände mit ihrer Erscheinung zögerten, erst am 7. September eröffnet werden, und der Reformeifer, der im vorigen Jahr die Wormser Beschlüsse möglich gemacht hatte, war erloschen; es war nahe daran, daß man das angefangene Werk ganz fallen ließ. Jetzt aber vertrat Kurfürst B. die Verfassungsreform, zu welcher er den Anstoß und die Gedanken gegeben hatte, mit allen Kräften. Er eröffnete die Sitzungen und leitete die Verhandlungen mit unbestrittener Autorität und suchte den erlahmten Eifer mit den eindringlichsten Ermahnungen zu beleben. Er wies auf den zunehmenden Verfall des Reiches, auf die Abnahme seiner Macht und seines Ansehens hin und stellte daneben das Ansehen, das die schweizerische Eidgenossenschaft durch ihr einmüthiges Zusammenhalten errungen habe, vor. Seine Reden hatten zunächst Erfolg; es wurde eine Reihe von Beschlüssen zur Aufrechthaltung und Ausführung der Wormser Ordnungen gefaßt, aber im Ganzen scheiterte das Programm der von B. angeführten Reformpartei an dem Widerstand Maximilians und der Gleichgültigkeit der reichsständischen Mehrheit. Die Freundschaft, welche zwischen B. und Maximilian bestanden hatte, verwandelte sich in eine gegenseitige Verstimmung, die schließlich in einem Briefwechsel zum Ausdruck kam. Am 29. Dec. 1502 richtete der Kurfürst ein Schreiben an den König, worin er ihn um eine Erklärung bat, warum er ihm sein Vertrauen entzogen habe; er sei sich bewußt, keine Ursache dazu gegeben zu haben. Der König erwiederte: allerdings trage er einige Unlust gegen ihn im Herzen, denn er sei Schuld, daß auf den Reichstagen nichts Fruchtbarliches gehandelt worden sei; er habe die Verhältnisse nicht genug bedacht, sich selbst zuviel angesehen und seinen Vortheil gesucht, des Königs Rath und guten Willen aber zurückgeschlagen. Der Kurfürst vertheidigte hierauf sein Verhalten in einem neuen Brief: er habe nach bestem Ermessen seiner Pflicht gemäß gehandelt, nur des Königs und des Reiches Wohl im Auge gehabt, und nicht Ungnade sondern Dank verdient. Der König erwiederte: auch er glaube, seine Pflicht erfüllt zu haben; an ihm liege es nicht, wenn des Reiches Wohlfahrt bisher täglich zu Schaden gekommen. Eine Verständigung wurde nicht erzielt, und auf die eigentlichen Streitfragen zwischen dem König und der Reformpartei nicht eingegangen. Die Kurfürsten beharrten in ihrer oppositionellen Stellung. Sie hielten ihre besonderen Versammlungstage ohne den König dazu einzuladen, ja es war sogar von seiner Absetzung die Rede. Doch gestalteten sich die Verhältnisse für Maximilian wieder günstiger. Kurfürst B. starb am 21. December 1504 an den Pocken. Spalatin sagt von ihm: „Ein weiser ehrlicher Kurfürst, der es mit dem Reich treulich und wohl gemeint hat und in großem Lob und Ruhm vieler vortrefflicher Leute gestanden hat.“

* Leopold v. Ranke, Deutsche Geschichte in der Zeit der Reformation, Bd. I. 5. Aufl. 1873.

Die politischen Taten des Erzbischofs dominieren in der Rückschau auf sein Leben und Wirken. Die andere, die geschäftliche Seite des Berthold von Henneberg, die er in der Abgrenzung des kurmainzischen Territoriums durch Landwehren und Warten zugunsten von Einnahmen durch Zölle für Waren, Güter und Geleitsgebühren vornahm, wird weniger sichtbar. Dennoch sind es gerade das Kasteler Landwehr, das Rheingauer Gebück und das Landwehr im Bachgau, die ihn für uns Flörsheimer so wichtig machen. Auch seine Konsequenz gegenüber den Hessischen Landgrafen mit der Bedeutung unserer Fahr gegenüber den Rüsselsheimer Wünschen nach einer solchen beeindruckt mich. Und dass er die Bedeutung seiner Landstraß beim Festungsbau der Rüsselsheimer nicht aus den Augen verlor gibt Hinweise darauf, dass er in seinen zehn Jahren als Dechant in Hochheim die Bedeutung des Dorfes Flersheim erkannte, das er später als Erzbischof festigte und stärkte.

Berthold von Henneberg bekam ein Grabdenkmal und eine Grabplatte im Mainzer Dom, gefertigt vom Bildhauer Hans Backoffen; sie weisen noch heute auf den Erzkanzler und Staatsmann hin. Nachfolgend zwei Bilder aus der Broschüre „Staatsmann vom Mittelrhein“:

Die Grabplatte im Mittelschiff des Mainzer Doms …

und das Denkmal, ebenfalls im Mittelschiff:

Ein Staatsmann vom Mittelrhein

Werk, Wirken und Leben des großen Kurfürsten in der Auseinandersetzung mit Kaiser Maximilian I., in der genannten Broschüre ausführlich beschrieben, ist für Historiker von großem Wert; ich kann nur auf die Broschüre und ihren Inhalt verweisen. Dennoch möchte ich die Zusammenfassung „Der Staatsmann vom Mittelrhein“ am Ende der Broschüre und am Ende meines Berichts hier wiedergeben:

„DER STAATSMANN VOM MITTELRHEIN

Was bedeutet ein Mainzer Erzbischof des ausgehenden Mittelalters, was bedeutet ein Kurerzkanzler des aus seiner Blütezeit längst zum erstarrten Staatskörper gewordenen Reiches, was ein politischer und verfassungsrechtlicher Reformer vor der großen Reformation unserer Zeit? Handelt es sich nur darum, eine geschichtliche Figur in Erinnerung zu bringen, oder darum, um der geschichtlichen Wahrheit willen manche Gewichte anders zu verteilen? So sicher es die erste und vornehmste Aufgabe jeder echten Geschichtsforschung und auch der Verfassungsgeschichte ist, der Wahrheit um der Wahrheit willen zu dienen, so tritt hier, bei Schilderung von Leben und Werk Bertholds, doch noch ein weiteres hinzu: eine Epoche deutscher Geschichte, die nicht zu den „großen“ gehört und über die gerade die politische Geschichtsschreibung gern und rasch hinweggeht, wird zum Paradigma, zum Lehrbeispiel deutschen und rheinischen Schicksals.

Sicherlich: die Reichsreform des endenden 15· Jahrhunderts, die den Namen des ihr mehr widerstrebenden als sie fördernden Königs, Maximilian I., trägt und in Wahrheit das Werk Bertholds von Henneberg ist, hat auf den ersten Blick nicht viel Imponierendes an sich. Die Hauptschäden, die sich durch die Verschiebung aller Gewichte im Lauf des 15- Jahrhunderts herausgestellt hatten, wurden besei­tigt; tatsächliche Entwicklungen, die zu einer Stärkung des ständischen Einflusses geführt hatten, wurden rechtlich fundiert und dadurch innerlich gefestigt. Ein starkes Reich ist durch die Reform nicht entstanden, eher schon ein Staatsgebilde das versuchte, die in ihm vorhandenen, widerspruchsvollen. Kräfte einzufangen und zu ordnen. Neben der Unzulänglichkeit im ganzen, neben dem Vielen, das im einzelnen nicht erreicht wurde, darf man aber nicht vergessen, daß durch die Reform ein in der Auflösung befindlicher Staatskörper nochmals so gestärkt wurde, daß er die Stürme der folgenden Jahrhunderte als Verband überstand. Daß die Deutschland innerlich spaltende Reformation das staatsrechtliche Band, das zwischen den Gliedern des Reiches bestand, nicht ganz zerriß, ist das Verdienst der Reformer, ihnen allen voran Berthold von Henneberg. Nicht einmal der große Bruderkrieg des 17. Jahrhunderts, der 30 Jahre lang die deutschen Lande verwüstete, hat die rechtliche Gemeinsamkeit der deutschen Reichsstände voll beseitigt. Ebenso behutsam aber ist, daß vom bloßen Denken in großen und kleinen Räumen, vom Streben nach universaler Geltung hinweg der Blick der Deutschen von damals auf Fragen der inneren Ordnung gerichtet wurde. Geschichte darf, um ein jüngst gesprochenes Wort zu wiederholen, nicht nur gemessen werden an sichtbaren äußeren Erfolgen und an der Stellung, die sich ein Volk im Kreise der Völkergemeinschaft durch äußeren Kampf und durch Betonung eigener Macht erwirbt; der Aufwand an Kraft für innere, rechtliche Ziele ist ebenso wichtig.

Der Mann, dem diese Wandlung zu verdanken ist, Berthold von Henneberg, war das, was man als Realpolitiker in einer heute schon stark verwaschenen Tonfärbung bezeichnet, im wahrsten Sinne des Wortes. Er ging von den politischen Tatsachen aus, die seine Zeit geschaffen hatte und die ihrerseits seine Zeit gestalteten. Er schätzte die politische Ideologie nur dort, wo es sich um ein klares Bekenntnis zu bleibenden Werten, zu Frieden und Ordnung, handelte. Aller Schwärmerei, aller Überheblichkeit und aller Mißachtung anderer Meinung wirkte er entgegen. Die Dinge so zu sehen, wie sie waren, und aus dieser Sicht heraus das Schicksal seiner Zeit, seines Landes und seines Volkes gestalten zu helfen, war sein oberster politischer Grundsatz.

Berthold war ferner ein Mann des Rechts und nicht ein Mann der Gewalt. So souverän er den diplomatischen Stil der Zeit beherrschte, so geschickt und unermüdlich er im Verhandeln und Paktieren war, blieb es für ihn doch nicht bei der Diplomatie als Selbstzweck. Vom Diplomaten unterscheidet sich der Staatsmann dadurch, daß er den Gedanken, dem er dient, selbst mitgestaltet. Vom Macht- oder Gewaltpolitiker unterscheidet sich der echte Staatsmann dadurch, daß er das, was es zu erringen oder zu erhalten gilt, mit den Mitteln des Rechts verficht. Bertholds Reformpläne und Reformwünsche waren nichts anderes als der stetige Versuch, die Kräfte der Zeit, so wie sie waren, einzufangen und verfassungsmäßig, staatsrechtlich zu ordnen.

Als Erzbischof und Kirchenfürst war Berthold weder ein Eiferer noch ein Neuerer, aber ebenso wenig ein starrer Bewahrer des Gestrigen. Aufgeschlossen dem neuen Geist der Renaissance und des Humanismus erkannte er Nöte und Schäden der Kirche seiner Zeit. Aus den in der Kirche selbst vorhandenen Kräften heraus Besserung zu erzielen, war sein unablässiges Bemühen. Seine Toleranz, die Duldsamkeit gegen den politischen Nachbar und andersdenkenden Mitmenschen, erstreckte sich über den weltlichen Bereich der Reichspolitik hinaus auch auf die Dinge der Kirche. Daß Kirche und Welt verschiedene Ziele verfolgen, daß ihre augustinisch-mittelalteiliche Einheit keine reale Erscheinung, sondern ein Ausfluß zeitgebundenen Denkens war, erkannte der in einer Zeitenwende lebende Kirchenfürst mit aller Deutlichkeit. Beide Bereiche, Kirche und Welt, miteinander in Harmonie zu halten und nach Störungen wieder zu versöhnen, das Gemeinsame der Ziele zu verfolgen, schien ihm die große Aufgabe des geistlichen Kurfürsten, der nicht nur Fürst, sondern auch Priester war. Nicht darum handelte es sich, der Kirche der beginnenden Neuzeit die alte Macht, den durch Jahrhunderte hindurch behaupteten Primat wieder zu verschaffen, sondern darum, durch Arbeit in und an beiden Bereichen, dem kirchlichen und dem weltlichen, das gemeinschaftliche Interesse zu fördern.

Nicht angestrebte Weltweite politischer Gedanken oder Taten, sondern die inne~ Durchformung des Bestehenden bestimmte Bertholds politische und verfassungsrechtlichte Ziele. Des Reiches sollte sein, was dem Reich gebührte. Aber das Ganze lebt auch für den Teil wie der Teil für das Ganze. Das ständische Anliegen Bertholds diente nicht partikularistischen Zielen, sondern Reich und Kurstaat, ja allen Kurstaaten und allen Ländern und Landsplittern gemeinsam. Die Einung, wie man in seiner Zeit die föderalistische Form politischen Handelns nannte, wollte Gleichartige zu gemeinsamen Zielen verbinden, ohne über der Gemeinsamkeit das einzelne Glied zu vergessen. Nicht der Befehl von oben, das Diktat aus der Zentrale sollte maßgeblich sein, sondern der gemeinsame Wille aller, die sich um aller Wohl willen zu verbinden hatten.

Für Mainz und Mittelrhein stellt Erzbischof Berthold den Staatsmann und Politiker dar, der Wesen und Aufgabe dieses Landes wie kaum ein anderer erkannte: Vermittler zu sein zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West. Hier, wo zu Zei­ten der alten Kurerzkanzler und Erzbischöfe die Fäden von allen Seiten zusam­men liefen, galt es, sie aufzunehmen und in die richtige Hand zu geben. Der große Gestalter politischen Ausgleichs, der Berthold bei aller Festigkeit in Charakter und Handeln war, konnte kaum an einem anderen Orte Deutschlands so wohl am Platze sein wie gerade in Mainz. Mainz, von dem aus Bonifatius christliches Gut nach dem Norden und Osten gebracht hatte, Mainz, das in salischer und staufischer Zeit ein Sammelpunkt abendländischer Kräfte war, wurde unter Berthold von Henneberg noch einmal und wieder einmal zum Hort geistiger Vielfalt, die stärker zur deutschen Kultur gehört als alle Gleichmacherei. Gerade am Mittelrhein und in Mainz sollte man Gestalt und Persönlichkeit dieses Mannes nicht vergessen. Die Denkmäler im Mainzer Dom, in christlicher Demut einst geschaffen, um dem Toten das Gebet der Nachfahren zu sichern, werden zu lebendigen Zeugnissen, wenn das geistige Erbe bewahrt wird, das uns Berthold von Henneberg, der Staatsmann vom Mittelrhein, hinterlassen hat.“