Entdeckung

Auf meiner Suche nach dem Verbleib der Flörsheimer Madonna bin ich auf den Marienaltar in der alten Flörsheimer St. Galluskirche gekommen, von dem ich annehme, dass von diesem Altar aus eine Verbindung zu unserer Madonna bestehen und gefunden werden könnte, doch das habe ich bisher nicht geschafft. Aber auf etwas anderes bin ich gestoßen: auf die Verbindung von unserem Marienaltar zum Pestpfarrer Johannes Laurentius Münch!

Denn ich konnte im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden ein Dokument finden, von dem ich bisher noch nie etwas gehört oder gelesen habe: Ein Schriftstück von Pfarrer Joanni Laurentiy Münch, mit dem er – eigenhändig geschrieben – am 1. März 1701 die mit dem Marienaltar Flörsheim verbundenen Pfründen, hier also Ertrag bringende Ländereien, einem Bauern und Einwohner von Flörsheim, den er im Vertrag „hofman“ nennt, zu Lehen gibt.

Ich war überrascht und habe Dr. Bernd Blisch gebeten, das Dokument, das  mit „Kundt undt zu wißen seyn …“ beginnt, zu beurteilen; er schrieb mir:

„Der Text ist der „Verleih Brief über das Altargut Beatae Mariae Virginis in Flörsheim an Johann Caspar Bernhart, Bürger und Einwohner allda“ vom 1. März 1701. Heute würde man von einem Pachtvertrag sprechen. Johann Caspar Bernhart pachtet die Äcker und Weinberg, die zum Marienaltar gehören auf 12 Jahre. In acht Punkten ist geregelt was er zu tun hat und welche Pacht er zahlen muss.

Münch war ja zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr in Flörsheim. Es ist aber im Verleih-Brief vermerkt, dass Münch als Kanoniker des Kollegiatstifts St. Maria ad gradus in Mainz die Güter als Zeitlehen innehat und deshalb auch verpachtet.“

Durch mein Interesse an Pfarrer Münch und seinem Leben während der Pestzeit in Flörsheim und weil ich über ihn das Buch „Mensch Münch“ schreiben wollte (und geschrieben habe), musste ich in den letzten beiden Jahren, so oft ich dafür Zeit hatte, über Pfarrer Münch und die Pest in Flörsheim und in der Region alles lesen, was nur immer ich erreichen konnte, aber nirgendwo habe ich einen Hinweis auf die Pfründen des Pfarrers am Marienaltar gefunden. Und jetzt dieses!

Gerade im Jahr der 350. Wiederkehr des Verlobten Tages ist dies, wie Dr. Blisch als Historiker mir schreibt, „ein schöner Fund“. Ich halte ihn für ein besonderes Ereignis, eine Sensation!

Das Dokument bestärkt mich in meiner Hochachtung vor dem umfassenden Wissen dieses Pfarrers nicht nur über die Auswirkungen und die Bekämpfung der Pestseuche (lesen Sie hierzu mein Buch „Mensch Münch“), sondern auch über die Land- und Weinwirtschaft, indem er dem „hofman“ zum Beispiel vorschreibt, nicht nur Getreide, sondern auch Erbsen und Linsen (als Stickstoffdünger?) auf den Feldern auszubringen. Und es kann, ausgehend von dem genannten Dokument, die Suche nach weiteren Spuren des Pfarrers Johannes Laurentius Münch weiterbetrieben werden.

Transkription

Kundt und zu wißen seyn … welchem dieses
zu lesen vorkombt daß heut dato den 1. marty 1701 zwischen mir
endsunderschriebenem alß Joanne Laurentio Münch insignis ecclesia coll
egiata BM Virgen in gradiby canonno … als zeitlichem possessori
altaris BM Virgen in Flörsheim undt Joanni Caspario Bernhart burgeren undt einwohneren zu gedachtem Flörsheim alß hofman solcher bestand undt
verleyung der altar äckeren sayn beschehen undt beschloßen solcher gestalt
wie folgt

Erstlich soll hofman alle die zum altar gehorigen äcker in seinen
seinen furchen zäunen undt sachen halten und handthaben wie sein
eigen güther solle aber alldaß durch seine nachlaßigkeit von dem selbigen
nutzfremdt werden soll gedachter hofman solches auf seine kösten herbay schaffen

Zwaytenß soll obgemelter hofmann alle näher in diesen gütheren so
in 3 feldereien ligen zway morgen auß seinem hof düngen und misten
und auf seine kösten mit seinem eigenen geschirr heraußfahren

Dritens soll hofmann einem zeitlichen possessori von diesen güteren
an harter frucht alß korn waytzen gerst erbsen lintzen undt hirsell
die halbscheidt an sommerfrucht aber daß drittell geben undt reichen hin
gegen soll possessor altaris an harter frucht den halben an sommerfrucht
aber daß dritte theill saesamen zu geben schuldig sein

Virtenß soll hofmann alle frucht so auf diesen altar äckeren wachsen
wie sag auch nahmen haben mögen auf seine kosten abmachen die
die frucht mit einem zeitlichen possessori auf dem feldt theilen sodan
mit seinem geschirr in die scheuer führen doch soll possessori solche auf
seine kösten auß… laßen

Fünftens soll hofman zum wenigsten alle jahr im kornfeld ein
halben morgen mit waytzen ein morgen mit gersten ihm … aber
ein halben Morgen mit erbsen ein halben morgen mit lintzen zu säen
schuldig sein hingegen soll possessor den halben saesamen im kornfeldt
ihm … aber den dritte theill herzugeben obligirt sein

Sechstenß soll von possessori altaris in den weinberg allsten gebeßert
werden alß soll hofman die beßerung mit seinem geschirr hineinfahren
jedoch soll possessori die beßerung von dem seinigen behalten

Siebentenß wirdt dieses altar guth Joanni Caspari Bernhart 12 Jahre lang
nach ein ander verlehens undt soll daß erste jahr sein anfang auf
Cathedra Petri alß den 22 february 1701 … solcher …   …
soll gedachter hofman sich bay H possessori widderumb anzumelden

Achtenß und letzlich wirdt dieses guth vorgedachtem hofman mit diesem außdrücklichen vorbehalt verlehent daß hofman alle diese hierein
gesetzten articul und condition unverbrüchlich halten und nachkommen
solle in ermanglung aber einiger articul soll possessor macht undt gewalt haben ihm hofman
ohne einige contradiction die güther hinwegzunehmen undt
anderwercklich zu verlehnen

Dieses zu … bekraftigung hab ich possessor diese verlay mit
eigener handt geschrieben und mit meinem gewohnlichen pettschaft bekraftigt undt unterzeichent so geschehen den 1. Marty 1701

Joannis Laurentiy Münch …
Caplis insignis Eccl coll BMV in gradiby possessor … altaris

 

Die Urkunde wurde bestätigt in Mainz am 24. März 1701
possessor: Besitzer
obligirt: verpflichtet
BM Virgo: der seligen Jungfrau Maria
Marty: März
Cathedra Petri 22. Februar – Petri Stuhlfeier

 

Anmerkung: übertragen nach bestem Wissen und Gewissen; die (für mich) unleserlichen und/oder unverständlichen Wörter habe ich ausgelassen und mit … markiert, ich werde sie nach Kenntniserhalt einfügen.

 

Urkunde

Urkunde mit freundlicher Genehmigung des Hessischen Hauptstaatsarchivs, Dr. Rouven Pons, HHStAW Abt. 104 Nr. U 136

 

Neues vom Marienaltar

Das Dokument von Pfarrer Münch aus dem Jahr 1701 bildet den (vorläufigen) Endpunkt meiner noch andauernden Recherchen zum Altar der heiligen Jungfrau Maria in der Pfarrkirche Flörsheim/Flersheim.

Den Ausgangspunkt stelle ich heute vor: Mit Dokumenten aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden in Latein und mit der Übertragung der Schriftsätze ins Deutsche mit dem Inhalt, dass am 24. April des Jahres 1476 das volle Patronatsrecht über den Marienaltar vom Stifter Petrus Schotz an die Gemeinde Flersheim übergeben wurde.

Was geschah mit dem Altar und seinen Pfründen in dem langen Zeitraum zwischen der Übergabe an die Gemeinde 1476 und der Weitergabe der Pfründen im Jahre 1701 von Pfarrer Johannes Laurentius Münch an den Hofmann Joanni Caspario Bernhart? – das gilt es noch zu erforschen.

In meinem neuen Buch, das im Oktober dieses Jahres erscheinen wird, habe ich eine Verbindung hergestellt zwischen dem Erwerb des Marienaltars durch die Flersheimer Gemeinde und die Anschaffung einer Marienfigur am Ende des 15. Jahrhunderts für eben diesen Altar, geschnitzt durch den „Meister mit dem Brustlatz“: Es könnte ja sein …

Es folgt das fünfseitige Dokumente und das Transkript, letzteres mit der Unterschrift. Für die Erstellung des Transkripts habe ich Herrn Jonas Göhler, Heidelberg, herzlich zu danken.

Dokument

Transkript